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Nomen est omen?

15. Nov 2022

Meine Mitbewohnerin lernt gerade Deutsch und manchmal gerate ich bei dem Versuch, eine nachvollziehbare Herleitung zu finden, ins Stocken. Wieso nennt man zum Beispiel die wunderbare Herbststimmung mit aufsteigenden Nebelschwaden, glitzernden Spinnweben im Morgentau und bunter Herbstfärbung „Altweibersommer“? Auch abseits von Übersetzungsschwierigkeiten hoffentlich überkommener Zuschreibungen, finden sich unter anderem im Tierreich erstaunliche Namensgebungen, wie Thermometerhuhn, Nacktnasenwombat oder Trottellumme – Wortkreationen, mit denen man beim Scrabble nicht nur zur allgemeinen Belustigung, sondern auch zu einer Höchstpunktzahl beitragen kann. 

Ich bin neulich über den Begriff Blindschleiche gestolpert und musste nach kurzer Recherche erstaunt feststellen, dass es sich dabei um eine in Mitteleuropa ansässige Reptilienart handelt, die – Achtung! –  zu der Gattung der Echsen aka Schleichen gehört. Für Hobbyzoologen, die des Lateinischen mächtig sind, mag bereits die spezifische Bezeichnung Anguis fragilis andeuten, dass es sich um etwas schlangenförmig zerbrechliches handelt. Auch der beinlose und langgestreckte Körperbau dieser wechselwarmen Geschöpfe legt etwas Schlangenartiges nahe.Und dennoch, die harmlose Blindschleiche ist keine Schlange und blind ist sie auch nicht. Will man eine sprachgeschichtliche Einordnung hinzuziehen, so ließe sich das Althochdeutsche „plint“ mit blendend oder blinkend übersetzen und spielt somit auf die schleimig glänzende Oberfläche der Schlange, äh, Echse an. 

Aha, aber so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen. Nun habe ich mir mit dieser erschöpfenden wie besserwisserischen Analyse die eigentliche Überleitung versaut. Hatte diese vermeintlich unstimmige Bezeichnung mich doch ursprünglich zu der Überlegung angestachelt, wie man denn schleicht, wenn man blind ist oder ob mit fragiler Blindheit automatisch ein leises Auftreten und bedächtiges Lauschen auf die Umgebung gemeint ist? Es wäre darüber hinaus interessant zu klären, ob ein auflauerndes, sich anschleichendes Jagdverhalten bei potentiellen Fressfeinden auch ohne gutes Sehvermögen auskommt? 

Ich für meinen Teil kann als sehbehinderte und im Dunklen komplett nachtblinde Person bestätigen, dass meine Bewegungsmuster in der Öffentlichkeit eindeutig einen langsam schleichenden Charakter angenommen haben. Unsicher, ob ich dem Langstock vertrauen soll, taste ich mich äußerlich betont gelassen, aber innerlich furchtbar aufgewühlt voran, bleibe unvermittelt stehen, nehme noch mehr Tempo raus, wenn das überhaupt möglich ist. Ständig falle ich auf die trügerischen Taschenspielertricks komplizierter Lichtverhältnisse herein, wenn lange Schatten oder unspezifische Blendeffekte ihren glanzvollen Charakter ins Gegenteil verkehren. Leidvolle Erfahrungen wie Vollkörperkontakt mit Beton- sowie Metallpollern, Laternenpfeilern oder Glastüren haben mich gelehrt, extra vorsichtig zu sein und fordern mir die letzten Kraftreserven einer zengläubigen Geduldsprobe ab. Das Heranschleichen an mögliche Fressfeinde oder generelles Hantieren in der Küche gleicht weniger einem sensorisch zischelnden Reptil und lässt vielmehr auf die berühmte Elefantin im Porzellanladen schließen. 

Allen biologisch stichhaltigen und linguistisch mustergültigen Fakten zum Trotz fühle ich mich der Blindschleiche im sprichwörtlichen Sinne verbunden. Überdies tritt hinter der offensichtlichen Namenszuschreibung Unerwartetes, ja vielleicht sogar Überraschendes hervor, das erfreulicherweise jenseits von kennzeichnenden Omen existiert.

Nomen est omen?

Meine Mitbewohnerin lernt gerade Deutsch und manchmal gerate ich bei dem Versuch, eine nachvollziehbare Herleitung zu finden, ins Stocken. Wieso nennt man zum Beispiel die wunderbare Herbststimmung mit aufsteigenden Nebelschwaden, glitzernden Spinnweben im Morgentau und bunter Herbstfärbung „Altweibersommer“? Auch abseits von Übersetzungsschwierigkeiten hoffentlich überkommener Zuschreibungen, finden sich unter anderem im Tierreich erstaunliche Namensgebungen, wie Thermometerhuhn, Nacktnasenwombat oder Trottellumme – Wortkreationen, mit denen man beim Scrabble nicht nur zur allgemeinen Belustigung, sondern auch zu einer Höchstpunktzahl beitragen kann. 

Ich bin neulich über den Begriff Blindschleiche gestolpert und musste nach kurzer Recherche erstaunt feststellen, dass es sich dabei um eine in Mitteleuropa ansässige Reptilienart handelt, die – Achtung! –  zu der Gattung der Echsen aka Schleichen gehört. Für Hobbyzoologen, die des Lateinischen mächtig sind, mag bereits die spezifische Bezeichnung Anguis fragilis andeuten, dass es sich um etwas schlangenförmig zerbrechliches handelt. Auch der beinlose und langgestreckte Körperbau dieser wechselwarmen Geschöpfe legt etwas Schlangenartiges nahe.Und dennoch, die harmlose Blindschleiche ist keine Schlange und blind ist sie auch nicht. Will man eine sprachgeschichtliche Einordnung hinzuziehen, so ließe sich das Althochdeutsche „plint“ mit blendend oder blinkend übersetzen und spielt somit auf die schleimig glänzende Oberfläche der Schlange, äh, Echse an. 

Aha, aber so genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen. Nun habe ich mir mit dieser erschöpfenden wie besserwisserischen Analyse die eigentliche Überleitung versaut. Hatte diese vermeintlich unstimmige Bezeichnung mich doch ursprünglich zu der Überlegung angestachelt, wie man denn schleicht, wenn man blind ist oder ob mit fragiler Blindheit automatisch ein leises Auftreten und bedächtiges Lauschen auf die Umgebung gemeint ist? Es wäre darüber hinaus interessant zu klären, ob ein auflauerndes, sich anschleichendes Jagdverhalten bei potentiellen Fressfeinden auch ohne gutes Sehvermögen auskommt? 

Ich für meinen Teil kann als sehbehinderte und im Dunklen komplett nachtblinde Person bestätigen, dass meine Bewegungsmuster in der Öffentlichkeit eindeutig einen langsam schleichenden Charakter angenommen haben. Unsicher, ob ich dem Langstock vertrauen soll, taste ich mich äußerlich betont gelassen, aber innerlich furchtbar aufgewühlt voran, bleibe unvermittelt stehen, nehme noch mehr Tempo raus, wenn das überhaupt möglich ist. Ständig falle ich auf die trügerischen Taschenspielertricks komplizierter Lichtverhältnisse herein, wenn lange Schatten oder unspezifische Blendeffekte ihren glanzvollen Charakter ins Gegenteil verkehren. Leidvolle Erfahrungen wie Vollkörperkontakt mit Beton- sowie Metallpollern, Laternenpfeilern oder Glastüren haben mich gelehrt, extra vorsichtig zu sein und fordern mir die letzten Kraftreserven einer zengläubigen Geduldsprobe ab. Das Heranschleichen an mögliche Fressfeinde oder generelles Hantieren in der Küche gleicht weniger einem sensorisch zischelnden Reptil und lässt vielmehr auf die berühmte Elefantin im Porzellanladen schließen. 

Allen biologisch stichhaltigen und linguistisch mustergültigen Fakten zum Trotz fühle ich mich der Blindschleiche im sprichwörtlichen Sinne verbunden. Überdies tritt hinter der offensichtlichen Namenszuschreibung Unerwartetes, ja vielleicht sogar Überraschendes hervor, das erfreulicherweise jenseits von kennzeichnenden Omen existiert.