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Älter werden wir später

5. Nov 2022

Lasse ich die vergangenen Dekaden vor meinem inneren Auge vorüberziehen, wird eines offensichtlich: Ich bin mittendrin im Mittelalter, also der Mitte meines Lebens, habe den Zenit fast unbemerkt überschritten, und dennoch beschleicht mich das seltsame Gefühl, dass ich dort noch nicht so recht angekommen bin. Gibt es einen empfohlenen Lifehack für jene diskrete Zäsur oder neigen vor allem Frauen dazu, den Eintritt in diese neue Lebensphase so unauffällig wie möglich zu gestalten? In unserer Gesellschaft lassen sich aber wohl ohnehin die standardmäßigen Voreinstellungen beim Programm Älterwerden mit Attributen wie unsichtbar, unauffällig, still und leise beschreiben. Geschätzte Ausnahmen bestätigen die Regel. 

Dass wir es überhaupt bis hierhin geschafft haben, ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit, das halten wir mit offenkundiger Dankbarkeit fest. Auch ich habe das Sterben der Anderen erfahren, habe mich in entsetzlicher Trauerarbeit und Abschiednehmen geübt und bin kläglich gescheitert. Die unaufhaltsame Auseinandersetzung mit unserer eigenen Endlichkeit, die eng an das Älterwerden geknüpft ist, wird tabuisiert und als Gesprächsthema lieber umschifft.

Ob nun genderneutrale Midlifecrisis oder genderspezifische Menopause – am Wendepunkt der zweiten Lebenshälfte gilt es herauszufinden, ob wir uns den Extremen ausschweifender Alterspubertät oder einem würdevollen Vorruhestand verschreiben sollen. Das offenherzige Bekenntnis zu Früher war ich jung, heute will ich nur noch so aussehen, bringt oftmals einen übermäßigen Gebrauch von  Anti-Aging-Prozeduren mit sich.
Auch in Sachen Modebewusstsein sollte man sich von Hipstertrends wie “Menocore” nicht in die Irre führen lassen. Selbstbewusst folgen diese ausschließlich jungen Trendsetter der für Senioren typischen Kleiderordnung aus elastischem beige-grauen Polyesteralpträumen mit künstlich ergrauten Schläfen und geschminkten Augenringen. Diese freiwillig bis unbewusst selbst gewählte Form von Unsichtbarkeit scheint mir in keiner Altersgruppe erstrebenswert zu sein. Meine trotzige Reaktion auf das Nichtgesehenwerden sind knallbunte Outfits und der Versuch mit nonkonformistischen Verhaltensweisen dem Erwartbaren etwas erfrischend Unerwartetes entgegenzusetzen. Mein  angestrebtes Ziel ist es, später einmal eine schrullige, exzentrische alte Dame zu sein. Aber bevor ich von der farbenfrohen Vision meiner Alters-WG zu schwärmen beginne, widme ich mich lieber den gegenwärtigen Veränderungen. 

Nicht erst seit ich mich damit beschäftige fiel mir auf, dass bereits die bloße Erwähnung des Wortes “Wechseljahre” mitunter eine gewisse Gereiztheit auslösen kann, welche demzufolge vielleicht sogar  als erstes Anzeichen des unmittelbar bevorstehenden Klimakteriums verstanden wird. Dass wir öffentlich aber dazu neigen, dieses tatsächlich hochkomplexe Thema so großzügig zu ignorieren, macht mich jedoch ratlos. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass über jene hormonelle Metamorphose lediglich gefährliches Halbwissen, namentlich mit Hitzewallungen oder dem großen Finale der letzten Menstruation kursiert.
Einzig über die, unter emanzipatorischen Gesichtspunkten, inakzeptable Annahme, dass Frau diesen Zustand schlichtweg tolerieren muss, besteht allgemeiner Konsens. Selbst wenn man sich allen inneren Widerständen zum Trotz hierzu professionell beraten lassen will, bleibt angesichts unausgegorener Therapieansätze und dem Verweis auf eine strukturell bedingt magere Studienlage  leider ein Gefühl großer Verunsicherung. Und hey, warum sollte man sich mit Problemen beschäftigen, die nur die Hälfte der Weltbevölkerung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit betreffen werden?

Schluss damit! Schluss mit Stillschweigen, Stillhalten, Still erdulden! Um gängigen Klischees, Vorbehalten oder Unwissen qualifiziert zu begegnen und unnötigen Leidensdruck zu vermeiden, ist Darüberreden naturgemäß der beste Weg. Immerhin gibt es abseits eher lästiger Beschwerden auch Positives in Sachen Transformation zu berichten. Ganz im Gegensatz zum männlichen Alterungsprozess begünstigt der Menopause-Hormon-Cocktail bei uns Frauen nämlich eine geradezu fokussierte und schaffenskräftige Entwicklungsperiode, die förmlich nach einer zielstrebigen Hinwendung zu inhaltlich inspirierenden Themen und Aufgaben verlangt.
Urteilsfähig und reflektiert treiben wir nun unseren Verstand zu neuen Höchstleistungen an und machen uns dabei unsere innere Reife, Erfahrung und Gelassenheit zu nutze. Vielleicht lohnt es sich daher nicht nur persönlich, sondern sogar gesellschaftlich, sämtliche endokrinologischen Tricks der Frauenheilkunde auszuschöpfen, um jener beflügelnden Lebensphase zur Erfüllung ihrer Ambitionen verhelfen zu können. All jenen, die dieses enthusiastische Plädoyer noch weiter vertiefen möchten, empfehle ich “Woman on Fire” von der Gynäkologin Sheila de LIz zu lesen. 
An die Stelle eines verschwiegenen Stigmas, das widersinnigerweise mit einer als bedrohlich empfundenen Unsichtbarkeit einher geht, sollte nämlich ein neues Selbstverständnis rücken, das Erfüllung und Veränderung durch Abwechslung verspricht.
Rein äußerlich darf sich die hinzugewonnene Selbstachtung auch gerne farbenprächtig zu einem knalligen Lippenstift und innerlich zu einem entschlossenen Göttinnen altern nicht bekennen. In diesem Sinne folge ich beschwingt der Einladung einer lieben Freundin, die eine illustre Runde mehr oder weniger menopausierdender Göttinnen in fachlich kompetenter Weise in die noch zu lüftenden Geheimnisse der Wechseljahre einweihen wird.
Unbedingt zur Nachahmung empfohlen!

Älter werden wir später

Lasse ich die vergangenen Dekaden vor meinem inneren Auge vorüberziehen, wird eines offensichtlich: Ich bin mittendrin im Mittelalter, also der Mitte meines Lebens, habe den Zenit fast unbemerkt überschritten, und dennoch beschleicht mich das seltsame Gefühl, dass ich dort noch nicht so recht angekommen bin. Gibt es einen empfohlenen Lifehack für jene diskrete Zäsur oder neigen vor allem Frauen dazu, den Eintritt in diese neue Lebensphase so unauffällig wie möglich zu gestalten? In unserer Gesellschaft lassen sich aber wohl ohnehin die standardmäßigen Voreinstellungen beim Programm Älterwerden mit Attributen wie unsichtbar, unauffällig, still und leise beschreiben. Geschätzte Ausnahmen bestätigen die Regel. 

Dass wir es überhaupt bis hierhin geschafft haben, ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit, das halten wir mit offenkundiger Dankbarkeit fest. Auch ich habe das Sterben der Anderen erfahren, habe mich in entsetzlicher Trauerarbeit und Abschiednehmen geübt und bin kläglich gescheitert. Die unaufhaltsame Auseinandersetzung mit unserer eigenen Endlichkeit, die eng an das Älterwerden geknüpft ist, wird tabuisiert und als Gesprächsthema lieber umschifft.

Ob nun genderneutrale Midlifecrisis oder genderspezifische Menopause – am Wendepunkt der zweiten Lebenshälfte gilt es herauszufinden, ob wir uns den Extremen ausschweifender Alterspubertät oder einem würdevollen Vorruhestand verschreiben sollen. Das offenherzige Bekenntnis zu Früher war ich jung, heute will ich nur noch so aussehen, bringt oftmals einen übermäßigen Gebrauch von  Anti-Aging-Prozeduren mit sich.
Auch in Sachen Modebewusstsein sollte man sich von Hipstertrends wie “Menocore” nicht in die Irre führen lassen. Selbstbewusst folgen diese ausschließlich jungen Trendsetter der für Senioren typischen Kleiderordnung aus elastischem beige-grauen Polyesteralpträumen mit künstlich ergrauten Schläfen und geschminkten Augenringen. Diese freiwillig bis unbewusst selbst gewählte Form von Unsichtbarkeit scheint mir in keiner Altersgruppe erstrebenswert zu sein. Meine trotzige Reaktion auf das Nichtgesehenwerden sind knallbunte Outfits und der Versuch mit nonkonformistischen Verhaltensweisen dem Erwartbaren etwas erfrischend Unerwartetes entgegenzusetzen. Mein  angestrebtes Ziel ist es, später einmal eine schrullige, exzentrische alte Dame zu sein. Aber bevor ich von der farbenfrohen Vision meiner Alters-WG zu schwärmen beginne, widme ich mich lieber den gegenwärtigen Veränderungen. 

Nicht erst seit ich mich damit beschäftige fiel mir auf, dass bereits die bloße Erwähnung des Wortes “Wechseljahre” mitunter eine gewisse Gereiztheit auslösen kann, welche demzufolge vielleicht sogar  als erstes Anzeichen des unmittelbar bevorstehenden Klimakteriums verstanden wird. Dass wir öffentlich aber dazu neigen, dieses tatsächlich hochkomplexe Thema so großzügig zu ignorieren, macht mich jedoch ratlos. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass über jene hormonelle Metamorphose lediglich gefährliches Halbwissen, namentlich mit Hitzewallungen oder dem großen Finale der letzten Menstruation kursiert.
Einzig über die, unter emanzipatorischen Gesichtspunkten, inakzeptable Annahme, dass Frau diesen Zustand schlichtweg tolerieren muss, besteht allgemeiner Konsens. Selbst wenn man sich allen inneren Widerständen zum Trotz hierzu professionell beraten lassen will, bleibt angesichts unausgegorener Therapieansätze und dem Verweis auf eine strukturell bedingt magere Studienlage  leider ein Gefühl großer Verunsicherung. Und hey, warum sollte man sich mit Problemen beschäftigen, die nur die Hälfte der Weltbevölkerung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit betreffen werden?

Schluss damit! Schluss mit Stillschweigen, Stillhalten, Still erdulden! Um gängigen Klischees, Vorbehalten oder Unwissen qualifiziert zu begegnen und unnötigen Leidensdruck zu vermeiden, ist Darüberreden naturgemäß der beste Weg. Immerhin gibt es abseits eher lästiger Beschwerden auch Positives in Sachen Transformation zu berichten. Ganz im Gegensatz zum männlichen Alterungsprozess begünstigt der Menopause-Hormon-Cocktail bei uns Frauen nämlich eine geradezu fokussierte und schaffenskräftige Entwicklungsperiode, die förmlich nach einer zielstrebigen Hinwendung zu inhaltlich inspirierenden Themen und Aufgaben verlangt.
Urteilsfähig und reflektiert treiben wir nun unseren Verstand zu neuen Höchstleistungen an und machen uns dabei unsere innere Reife, Erfahrung und Gelassenheit zu nutze. Vielleicht lohnt es sich daher nicht nur persönlich, sondern sogar gesellschaftlich, sämtliche endokrinologischen Tricks der Frauenheilkunde auszuschöpfen, um jener beflügelnden Lebensphase zur Erfüllung ihrer Ambitionen verhelfen zu können. All jenen, die dieses enthusiastische Plädoyer noch weiter vertiefen möchten, empfehle ich “Woman on Fire” von der Gynäkologin Sheila de LIz zu lesen. 
An die Stelle eines verschwiegenen Stigmas, das widersinnigerweise mit einer als bedrohlich empfundenen Unsichtbarkeit einher geht, sollte nämlich ein neues Selbstverständnis rücken, das Erfüllung und Veränderung durch Abwechslung verspricht.
Rein äußerlich darf sich die hinzugewonnene Selbstachtung auch gerne farbenprächtig zu einem knalligen Lippenstift und innerlich zu einem entschlossenen Göttinnen altern nicht bekennen. In diesem Sinne folge ich beschwingt der Einladung einer lieben Freundin, die eine illustre Runde mehr oder weniger menopausierdender Göttinnen in fachlich kompetenter Weise in die noch zu lüftenden Geheimnisse der Wechseljahre einweihen wird.
Unbedingt zur Nachahmung empfohlen!