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Vom Winde verweht…

14. Okt 2022

Große Veränderungen erhalten einen festen Platz im persönlichen wie kollektiven Gedächtnis und sind nicht selten Gegenstand eindrucksvoller Erzählungen, mit denen wir noch unsere Enkel beeindrucken möchten. Manchmal befinden wir uns dann aber bereits in der Grauzone zur Legendenbildung, was beim erzählerischen Schreiben zwar unterhaltsam und erwünscht ist, im Journalismus hingegen problematisch sein kann.

Während akuter Schaffenskrisen, die gelegentlich Schreibblockaden oder Erschöpfungszustände hervorbringen können, hilft es fast immer, diese wenig kreative Periode mit kurzweiligen Podcasts auszufüllen. Ob inhaltlich trivial oder bedeutungsvoll, sie vermögen zumindest den Regenerationsprozess zu beschleunigen. An die genauen Umstände meiner Verfassung kann ich mich zwar nicht mehr genau erinnern, wohl aber an den Podcast namens “Wind of Change”, der quasi eine Spontanheilung auslöste. 

Bevor hier voreilige Schlüsse gezogen werden, hier eine wichtige Vorbemerkung nebst Triggerwarnung: Nein, ich bin keinesfalls Fan des gleichnamigen Songs oder der Scorpions, Und ja, der Ohrwurm mit maximalem Wiedererkennungswert bleibt. Er klebt in unseren Gehörgängen fest wie ein mit Sekundenkleber vermengter Kaugummi, wo er so lange verweilen wird, bis wir ihm etwas musikalisch Neutralisierendes entgegensetzen. Wer sich also das nervtötende Gepfeife der 80er-Rockballade eines Hannoveraner Exportschlagers ersparen möchte, möge nun bitte den (virtuellen) Raum verlassen. Ich fürchte nur, dass es dafür leider jetzt schon zu spät ist und kann daher nur noch entschuldigend zu einem erhöhten Alkoholkonsum raten. 

Die Frage nach dem Warum ist ein legitimer Einwand. Welche Faszination soll sich hinter einem drittklassigen Song verbergen, den man am liebsten aus dem musikalischen Langzeitgedächtnis löschen würde? Dass allem Leidensdruck zum Trotz “Wind of Change” als Hymne der Wende von ‘89 und somit als perfekt inszeniertes Finale von Perestroika und Glasnost gefeiert wurde, ist bekannt. So will es die Legende, so wollen es die Scorpions inklusive Fans und so ist es überall nachzulesen. Einzig David Hasselhoff hätte hier noch ein alternatives Narrativ anzubieten und beansprucht den Mauerfall für sich und sein musikalisches Engagement in Sachen Freiheit. Doch unabhängig vom Geltungsanspruch anderer klanglicher Verfehlungen scheint es dennoch bemerkenswert, dass sich ein Journalist des New Yorker für mittelprächtigen Metal – made in Germany – interessiert.

Ist es die Tatsache, dass die Scorpions ein glückliches Händchen hatten, weil “Wind of Change” just in time dem Lebensgefühl einer echten historischen Veränderung Ausdruck verlieh und die Band quasi über Nacht international berühmt machte? Mit erfolgreichen Tourneen durch den Ostblock waren die Scorpions zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und konnten einen letzten Blick hinter den bereits brüchig gewordenen, eisernen Vorhang werfen. 

Aber das ist doch alles ein alter Hut, unter dem auch die längste Rocermatte inzwischen graues Haar bekommen hat. Nichts davon würde die aufwändige Recherche von Patrick Radden Keefe rechtfertigen, dessen überraschenden Resultate in besagter fünfteiliger Podcast-Serie nachzuhören sind. Darin geht der US-amerikanische Journalist dem Gerücht eines angeblich streng geheimen Plans nach, das ihm sein Freund und mutmaßlicher Secret Service Mitarbeiter Michael bei einem Bier anvertraut hatte. 

Ehrgeizig versuchen Radden Keefe und der in Geheindienstkreisen gut vernetzt Michael anhand von Interviews ehemaliger CIA Mitarbeitender zu beweisen, dass die Lyrics zu “Wind of Change” NICHT der Feder von Klaus Meine – seines Zeichens Sänger und Songschreiber der Scorpions – entstammen, sondern von lyrisch talentierten Angestellten des CIA verfasst worden sind. Kein Scherz und eine echte Hörempfehlung, wenn man ein wiederholtes Anspielen von “Wind of Change” auf Dauer aushalten kann. Will man allerdings hinter das Geheimnis verschwörerischer Machenschaften US-amerikanischer Geheimdienste kommen, und dabei die unterhaltsame Eventualität einer popmusikalischen Einflussnahme auf die Weltpolitik in Betracht ziehen, müssen akustische Opfer gebracht werden. 

Unfassbare Wahrheit, halbwahre Legende oder doch nur ein unhaltbares Gerücht? Der kritische Einwand einer Interviewpartnerin wirft berechtigte Zweifel an der Geschichte auf. Wenn es sich um eine derart wichtige Geheimmission handelte, wieso fiel in Gottes Namen die Wahl ausgerechnet auf die Scorpions?!? War Billie Joels Leningrad zu offensichtlich? Madonna zu kommerziell und Elton John zu OTT? Andererseits hätte man sich eine bessere Tarnung kaum wünschen können, als die einer international mäßig bekannten Metalband aus der namentlich langweiligsten Stadt der Welt. Es liegt wiederum im Bereich des Möglichen, dass Klaus Meine sich den Ostwind der Veränderung um die Nase wehen ließ, um festzustellen, dass dieser nicht mehr zum kalten Krieg taugt und daraufhin mal einen Liedtext abseits leidenschaftlicher Rock’n’Roll-Hurricanes geschrieben hat. Die Antwort auf so manch wohlbehütetes Geheimnis kennt eben am Ende doch nur der Wind.

Quelle: LInk: https://crooked.com/podcast-series/wind-of-change/

Author: Patrick Radden Keefe, Journalist

Produziert: Pineapple Street Studios, Crooked Media and Spotify

Vom Winde verweht…

Große Veränderungen erhalten einen festen Platz im persönlichen wie kollektiven Gedächtnis und sind nicht selten Gegenstand eindrucksvoller Erzählungen, mit denen wir noch unsere Enkel beeindrucken möchten. Manchmal befinden wir uns dann aber bereits in der Grauzone zur Legendenbildung, was beim erzählerischen Schreiben zwar unterhaltsam und erwünscht ist, im Journalismus hingegen problematisch sein kann.

Während akuter Schaffenskrisen, die gelegentlich Schreibblockaden oder Erschöpfungszustände hervorbringen können, hilft es fast immer, diese wenig kreative Periode mit kurzweiligen Podcasts auszufüllen. Ob inhaltlich trivial oder bedeutungsvoll, sie vermögen zumindest den Regenerationsprozess zu beschleunigen. An die genauen Umstände meiner Verfassung kann ich mich zwar nicht mehr genau erinnern, wohl aber an den Podcast namens “Wind of Change”, der quasi eine Spontanheilung auslöste. 

Bevor hier voreilige Schlüsse gezogen werden, hier eine wichtige Vorbemerkung nebst Triggerwarnung: Nein, ich bin keinesfalls Fan des gleichnamigen Songs oder der Scorpions, Und ja, der Ohrwurm mit maximalem Wiedererkennungswert bleibt. Er klebt in unseren Gehörgängen fest wie ein mit Sekundenkleber vermengter Kaugummi, wo er so lange verweilen wird, bis wir ihm etwas musikalisch Neutralisierendes entgegensetzen. Wer sich also das nervtötende Gepfeife der 80er-Rockballade eines Hannoveraner Exportschlagers ersparen möchte, möge nun bitte den (virtuellen) Raum verlassen. Ich fürchte nur, dass es dafür leider jetzt schon zu spät ist und kann daher nur noch entschuldigend zu einem erhöhten Alkoholkonsum raten. 

Die Frage nach dem Warum ist ein legitimer Einwand. Welche Faszination soll sich hinter einem drittklassigen Song verbergen, den man am liebsten aus dem musikalischen Langzeitgedächtnis löschen würde? Dass allem Leidensdruck zum Trotz “Wind of Change” als Hymne der Wende von ‘89 und somit als perfekt inszeniertes Finale von Perestroika und Glasnost gefeiert wurde, ist bekannt. So will es die Legende, so wollen es die Scorpions inklusive Fans und so ist es überall nachzulesen. Einzig David Hasselhoff hätte hier noch ein alternatives Narrativ anzubieten und beansprucht den Mauerfall für sich und sein musikalisches Engagement in Sachen Freiheit. Doch unabhängig vom Geltungsanspruch anderer klanglicher Verfehlungen scheint es dennoch bemerkenswert, dass sich ein Journalist des New Yorker für mittelprächtigen Metal – made in Germany – interessiert.

Ist es die Tatsache, dass die Scorpions ein glückliches Händchen hatten, weil “Wind of Change” just in time dem Lebensgefühl einer echten historischen Veränderung Ausdruck verlieh und die Band quasi über Nacht international berühmt machte? Mit erfolgreichen Tourneen durch den Ostblock waren die Scorpions zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und konnten einen letzten Blick hinter den bereits brüchig gewordenen, eisernen Vorhang werfen. 

Aber das ist doch alles ein alter Hut, unter dem auch die längste Rocermatte inzwischen graues Haar bekommen hat. Nichts davon würde die aufwändige Recherche von Patrick Radden Keefe rechtfertigen, dessen überraschenden Resultate in besagter fünfteiliger Podcast-Serie nachzuhören sind. Darin geht der US-amerikanische Journalist dem Gerücht eines angeblich streng geheimen Plans nach, das ihm sein Freund und mutmaßlicher Secret Service Mitarbeiter Michael bei einem Bier anvertraut hatte. 

Ehrgeizig versuchen Radden Keefe und der in Geheindienstkreisen gut vernetzt Michael anhand von Interviews ehemaliger CIA Mitarbeitender zu beweisen, dass die Lyrics zu “Wind of Change” NICHT der Feder von Klaus Meine – seines Zeichens Sänger und Songschreiber der Scorpions – entstammen, sondern von lyrisch talentierten Angestellten des CIA verfasst worden sind. Kein Scherz und eine echte Hörempfehlung, wenn man ein wiederholtes Anspielen von “Wind of Change” auf Dauer aushalten kann. Will man allerdings hinter das Geheimnis verschwörerischer Machenschaften US-amerikanischer Geheimdienste kommen, und dabei die unterhaltsame Eventualität einer popmusikalischen Einflussnahme auf die Weltpolitik in Betracht ziehen, müssen akustische Opfer gebracht werden. 

Unfassbare Wahrheit, halbwahre Legende oder doch nur ein unhaltbares Gerücht? Der kritische Einwand einer Interviewpartnerin wirft berechtigte Zweifel an der Geschichte auf. Wenn es sich um eine derart wichtige Geheimmission handelte, wieso fiel in Gottes Namen die Wahl ausgerechnet auf die Scorpions?!? War Billie Joels Leningrad zu offensichtlich? Madonna zu kommerziell und Elton John zu OTT? Andererseits hätte man sich eine bessere Tarnung kaum wünschen können, als die einer international mäßig bekannten Metalband aus der namentlich langweiligsten Stadt der Welt. Es liegt wiederum im Bereich des Möglichen, dass Klaus Meine sich den Ostwind der Veränderung um die Nase wehen ließ, um festzustellen, dass dieser nicht mehr zum kalten Krieg taugt und daraufhin mal einen Liedtext abseits leidenschaftlicher Rock’n’Roll-Hurricanes geschrieben hat. Die Antwort auf so manch wohlbehütetes Geheimnis kennt eben am Ende doch nur der Wind.

Quelle: LInk: https://crooked.com/podcast-series/wind-of-change/

Author: Patrick Radden Keefe, Journalist

Produziert: Pineapple Street Studios, Crooked Media and Spotify