Sorgenvoll lässt das Christkind sich in den etwas zu hart gepolsterten Rücksitz des Taxis fallen, dessen Innenraum ein penetrant künstliches Aroma von Zimt und Anis verströmt. Einst kostbare Gewürze mit garantierter Weihnachtsnostalgie, fristen diese inzwischen ein trostloses Dasein als Duftkerze oder als Tannenbaum am Rückspiegel. Natürlich läuft “Driving home for Christmas” im Autoradio, gefolgt von den immergleichen Holiday-Hits, die scheinbar kein Verfallsdatum haben. Doch die gewöhnungsbedürftigen Vorlieben der Erdenbürger sind gerade sein geringstes Problem.
Unterwegs zu einer Podcast-Sendung zum Thema “Wie divers ist das Fest der Liebe?” fühlt es ein diffuses Unwohlsein aufsteigen, was ausnahmsweise mal nicht am Stop&Go-Fahrstil des Fahrers liegt. Wenn es um die Weihnachtsgeschichte geht, würden dem Christkind spontan etliche faszinierende Themen einfallen, weshalb es seine Teilnahme an dieser Diskussion am liebsten abgesagt hätte. Aber die oberste Managementebene blieb unerbittlich. Seitdem der Weihnachtsmann sich als alter weißer Mann und Ausbeuter elfenhafter Saisonkräfte in seiner Funktion als positive Identifikationsfigur disqualifiziert hat, erfährt das Christkind bei öffentlichen Auftritten eine bislang ungeahnte Popularität.
Kaum im Studio angekommen stellt sich während des Vorgesprächs im Aufzug heraus, dass keiner der Anwesenden, inklusive der Moderator*innen den vom Christkind jüngst veröffentlichten Essay “Was bin ich? Fragen zur Identität unsterblicher Seelen” gelesen hat. Warum inhaltlich debattieren, wenn es auch oberflächlich geht, denkt es und fühlt sich, wie so oft bei solchen Anlässen, nicht wirklich ernst genommen. Seine Voreingenommenheit der Sendung gegenüber erfährt eine erneute Bestätigung, als in der Vorstellungsrunde um die Nennung der Pronomen aller Teilnehmenden gebeten wird.
Irritation bei den Heiligen Drei Königen, die aufgrund einer unüberwindbaren Sprachbarriere nur betreten-höflich lächeln können, während der Erzengel Gabriel die extra Redezeit nutzt, um in freundlicher Bestimmtheit darauf hinzuweisen, dass seine Person als non-binary oder genderlfuides Wesen (they/them) gelesen werden will.
Daran, dass man sich auch in christlich geprägten Kulturkreisen überhaupt vorstellen muss, hat das Christkind sich inzwischen gewöhnt. Aber die hoch komplexe Genderfrage nebst den damit einhergehenden, unzutreffenden Zuschreibungen stürzt es nicht erst seit dem 21. Jahrhundert regelmäßig in eine Identitätskrise. Im geschlechtslosen Kindskörper eines engelsgleichen Wesens gefangen, dient es, seit es denken kann, als Projektionsfläche für das Wunder der Heiligen Nacht. Dem Vernehmen nach verselbstständigte sich der diffuse Bezug zum Jesuskind im Laufe der Zeit, lässt weitere Parallelen zu seinem erwachsenen, eindeutig männlichen Alter-Ego jedoch vermissen. Jesus konnte in seinem kurzen, aber außergewöhnlichen Leben auf die Gründung einer Weltreligion samt riesiger Anhängerschaft zurückblicken, vollbrachte unzählige Wunder und hat sich als Titelheld des auflagenstärksten Bestsellers aller Zeiten in das kulturelle Gedächtnis des Abendlandes eingebrannt. Künstlerisch meisterhaft dokumentiert von keinem Geringeren als Leonardo, der Jesus Wirken als ersten Sinnfluencer atemberaubend in Szene setzte.
Für das Christkind hatte der Heilige Vater zunächst die eher metaphysische Existenz des unschuldigen Erlösers vorgesehen, welche immerhin die Geburtsstunde der Christenheit markiert. Als im Zuge der Reformation die Heiligenverehrung in Ungnade fiel und namentlich Martin Luther keine anderen Heiligen duldete, erfolgte eine beispiellose Kündigungswelle, der auch der Heilige Nikolaus zum Opfer fiel. Die verantwortungsvolle Aufgabe des Gabenüberbringens wurde fortan dem Christkind übertragen. Um dem gigantischen Workload gerecht zu werden, wurde ihm der Knecht Ruprecht zur Seite gestellt und die Deadline vom 6. auf den 24. Dezember verschoben. Soweit so gut, aber erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Allem absolutistischen Reformwillen zum Trotz setzten sich, wie hierzulande üblich, föderalistische Bestrebungen durch und verursachten infolgedessen chaotische Zustände. Ob nun katholische, protestantische, regional gebräuchliche oder heidnisch geprägte Traditionen – eine eindeutige Lesart, klare Verantwortlichkeiten oder einfache Handlungsanweisungen sucht man bisweilen vergebens. Ungeachtet dogmatischer Bestrebungen, den Heiligenkult zu unterbinden, setzte sich im angelsätzischen Sprachraum der “Santa Claus” durch, welcher dann wiederum als Weihnachtsmann auch bei uns einen unvergleichlichen Siegeszug in die heimischen Wohnstuben antrat. Ob es sich hierbei um einen nachlässigen Übersetzungsfehler oder das bewusst gesteuerte Comeback des Heiligen Nikolaus unter dem roten Deckmantel postindustrieller Konsumzwänge handelt, ist nicht hinreichend geklärt.
Über Jahrhunderte hatte das Christkind seine Aufgaben in demütiger Andächtigkeit erfüllt, die Friedensbotschaft sowie liebevoll ausgewählte Gaben unter die Gläubigen gebracht, was angesichts fortwährender menschengemachter Krisen bei weitem nicht immer einfach war. Doch auf einmal sollte es von einem testosterongesteuerten Rauschebart im roten Bademantel, der mit juvenilen “Ho–Ho-Ho!”-Rufen auf sich aufmerksam macht, entthront werden. Außer in streng katholischen oder konservativen Haushalten haben die meisten Kinder oder ihre Erziehungsberechtigten keinen blassen Schimmer mehr, um wen oder was es sich beim Christkind handelt, weshalb es in ungezählten, mitunter absurd inszenierten Krippenspielen auf eine stummer Hauptrolle reduziert wurde. Seine Beschwerden an höchster Stelle stießen auf wenig Resonanz. Sich über die Menschheit und ihren bedenklichen Umgang mit der Schöpfung aufzuregen, lohne sich in den Augen des Heiligen Vaters nicht. Eine geduldige und bisweilen resiliente Form von Entschiedenheit sei hier die brauchbare Learning-Opportunity. Na prima, da erhofft man sich angesichts der eigenen Identitätsfindung einmal einen guten Rat und wird von den eigenen Eltern mit abgedroschenen Phrasen abgespeist.
Dass das Christkind sich bei der als lockere Aufwärmübung gedachten Frage nach den Pronomen so richtig in Rage reden und dabei extrem weit ausgeholt hat, kam unerwartet für die Podcast-Hosts. Der verzweifelte Versuch, die Chat-GBT Übersetzung für Altaramäisch zum Laufen zu bringen, damit wenigstens einer der Heiligen Drei Könige – “welcher nochmal genau?” zu Wort kommen würde, scheiterte kläglich. Dabei hätte man auf diese Weise der spannenden Frage nachgehen können, warum diesen weisen Astrologen aus dem Morgenland als Gabenüberbringer nur eine symbolische Bedeutung zukommt.
Einzig der Erzengel Gabriel hat den Ausführungen des Christkinds aufmerksam gelauscht, dabei sein aufrichtiges Mitgefühl bezeugt und ihm den folgenden Vorschlag unterbreitet: Es wäre vielleicht ratsam, sich mit diesem Wiener Psychoanalytiker in Verbindung zu setzen. “Fürchte dich nicht!” “ Der übermächtige Vaterkomplex ist sein Spezialgebiet.” Erleichtert registriert das Christkind, dass es Gabriel falsch eingeschätzt hat. Wird ihm doch in solchen Momentan fast immer “Das Kind in Dir muss Frieden finden” empfohlen, was angesichts einer durch die Jahrhunderte transzendierenden und niemals erwachsen werdenden Existenz fast zynisch zu nennen ist. Und wenn wir schon mal bei überbordenden Allmachtsfantasien sind, so rangiert der Untertitel dieses Ratgebers “Der Schlüssel zur Lösung (Fast) aller Probleme” garantiert unter den Top-Ten. Während das Moderationsteam resigniert feststellen muss, dass ihnen die Kontrolle über die Sendung komplett entglitten ist, wofür man sich gegenseitig die Schuld zuweist, befinden das Christkind und der Erzengel sich in einer versöhnlichen Weihnachtsumarmung. Sie verabreden sich, die Feiertage mit lieb gewonnenen Gefährt*innen zu verbringen und auf diese Weise die frohe Friedensbotschaft und das Prinzip der Nächstenliebe zu zelebrieren. Halleluja!
“Das heilige Kind muss Frieden finden”
Sorgenvoll lässt das Christkind sich in den etwas zu hart gepolsterten Rücksitz des Taxis fallen, dessen Innenraum ein penetrant künstliches Aroma von Zimt und Anis verströmt. Einst kostbare Gewürze mit garantierter Weihnachtsnostalgie, fristen diese inzwischen ein trostloses Dasein als Duftkerze oder als Tannenbaum am Rückspiegel. Natürlich läuft “Driving home for Christmas” im Autoradio, gefolgt von den immergleichen Holiday-Hits, die scheinbar kein Verfallsdatum haben. Doch die gewöhnungsbedürftigen Vorlieben der Erdenbürger sind gerade sein geringstes Problem.
Unterwegs zu einer Podcast-Sendung zum Thema “Wie divers ist das Fest der Liebe?” fühlt es ein diffuses Unwohlsein aufsteigen, was ausnahmsweise mal nicht am Stop&Go-Fahrstil des Fahrers liegt. Wenn es um die Weihnachtsgeschichte geht, würden dem Christkind spontan etliche faszinierende Themen einfallen, weshalb es seine Teilnahme an dieser Diskussion am liebsten abgesagt hätte. Aber die oberste Managementebene blieb unerbittlich. Seitdem der Weihnachtsmann sich als alter weißer Mann und Ausbeuter elfenhafter Saisonkräfte in seiner Funktion als positive Identifikationsfigur disqualifiziert hat, erfährt das Christkind bei öffentlichen Auftritten eine bislang ungeahnte Popularität.
Kaum im Studio angekommen stellt sich während des Vorgesprächs im Aufzug heraus, dass keiner der Anwesenden, inklusive der Moderator*innen den vom Christkind jüngst veröffentlichten Essay “Was bin ich? Fragen zur Identität unsterblicher Seelen” gelesen hat. Warum inhaltlich debattieren, wenn es auch oberflächlich geht, denkt es und fühlt sich, wie so oft bei solchen Anlässen, nicht wirklich ernst genommen. Seine Voreingenommenheit der Sendung gegenüber erfährt eine erneute Bestätigung, als in der Vorstellungsrunde um die Nennung der Pronomen aller Teilnehmenden gebeten wird.
Irritation bei den Heiligen Drei Königen, die aufgrund einer unüberwindbaren Sprachbarriere nur betreten-höflich lächeln können, während der Erzengel Gabriel die extra Redezeit nutzt, um in freundlicher Bestimmtheit darauf hinzuweisen, dass seine Person als non-binary oder genderlfuides Wesen (they/them) gelesen werden will.
Daran, dass man sich auch in christlich geprägten Kulturkreisen überhaupt vorstellen muss, hat das Christkind sich inzwischen gewöhnt. Aber die hoch komplexe Genderfrage nebst den damit einhergehenden, unzutreffenden Zuschreibungen stürzt es nicht erst seit dem 21. Jahrhundert regelmäßig in eine Identitätskrise. Im geschlechtslosen Kindskörper eines engelsgleichen Wesens gefangen, dient es, seit es denken kann, als Projektionsfläche für das Wunder der Heiligen Nacht. Dem Vernehmen nach verselbstständigte sich der diffuse Bezug zum Jesuskind im Laufe der Zeit, lässt weitere Parallelen zu seinem erwachsenen, eindeutig männlichen Alter-Ego jedoch vermissen. Jesus konnte in seinem kurzen, aber außergewöhnlichen Leben auf die Gründung einer Weltreligion samt riesiger Anhängerschaft zurückblicken, vollbrachte unzählige Wunder und hat sich als Titelheld des auflagenstärksten Bestsellers aller Zeiten in das kulturelle Gedächtnis des Abendlandes eingebrannt. Künstlerisch meisterhaft dokumentiert von keinem Geringeren als Leonardo, der Jesus Wirken als ersten Sinnfluencer atemberaubend in Szene setzte.
Für das Christkind hatte der Heilige Vater zunächst die eher metaphysische Existenz des unschuldigen Erlösers vorgesehen, welche immerhin die Geburtsstunde der Christenheit markiert. Als im Zuge der Reformation die Heiligenverehrung in Ungnade fiel und namentlich Martin Luther keine anderen Heiligen duldete, erfolgte eine beispiellose Kündigungswelle, der auch der Heilige Nikolaus zum Opfer fiel. Die verantwortungsvolle Aufgabe des Gabenüberbringens wurde fortan dem Christkind übertragen. Um dem gigantischen Workload gerecht zu werden, wurde ihm der Knecht Ruprecht zur Seite gestellt und die Deadline vom 6. auf den 24. Dezember verschoben. Soweit so gut, aber erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Allem absolutistischen Reformwillen zum Trotz setzten sich, wie hierzulande üblich, föderalistische Bestrebungen durch und verursachten infolgedessen chaotische Zustände. Ob nun katholische, protestantische, regional gebräuchliche oder heidnisch geprägte Traditionen – eine eindeutige Lesart, klare Verantwortlichkeiten oder einfache Handlungsanweisungen sucht man bisweilen vergebens. Ungeachtet dogmatischer Bestrebungen, den Heiligenkult zu unterbinden, setzte sich im angelsätzischen Sprachraum der “Santa Claus” durch, welcher dann wiederum als Weihnachtsmann auch bei uns einen unvergleichlichen Siegeszug in die heimischen Wohnstuben antrat. Ob es sich hierbei um einen nachlässigen Übersetzungsfehler oder das bewusst gesteuerte Comeback des Heiligen Nikolaus unter dem roten Deckmantel postindustrieller Konsumzwänge handelt, ist nicht hinreichend geklärt.
Über Jahrhunderte hatte das Christkind seine Aufgaben in demütiger Andächtigkeit erfüllt, die Friedensbotschaft sowie liebevoll ausgewählte Gaben unter die Gläubigen gebracht, was angesichts fortwährender menschengemachter Krisen bei weitem nicht immer einfach war. Doch auf einmal sollte es von einem testosterongesteuerten Rauschebart im roten Bademantel, der mit juvenilen “Ho–Ho-Ho!”-Rufen auf sich aufmerksam macht, entthront werden. Außer in streng katholischen oder konservativen Haushalten haben die meisten Kinder oder ihre Erziehungsberechtigten keinen blassen Schimmer mehr, um wen oder was es sich beim Christkind handelt, weshalb es in ungezählten, mitunter absurd inszenierten Krippenspielen auf eine stummer Hauptrolle reduziert wurde. Seine Beschwerden an höchster Stelle stießen auf wenig Resonanz. Sich über die Menschheit und ihren bedenklichen Umgang mit der Schöpfung aufzuregen, lohne sich in den Augen des Heiligen Vaters nicht. Eine geduldige und bisweilen resiliente Form von Entschiedenheit sei hier die brauchbare Learning-Opportunity. Na prima, da erhofft man sich angesichts der eigenen Identitätsfindung einmal einen guten Rat und wird von den eigenen Eltern mit abgedroschenen Phrasen abgespeist.
Dass das Christkind sich bei der als lockere Aufwärmübung gedachten Frage nach den Pronomen so richtig in Rage reden und dabei extrem weit ausgeholt hat, kam unerwartet für die Podcast-Hosts. Der verzweifelte Versuch, die Chat-GBT Übersetzung für Altaramäisch zum Laufen zu bringen, damit wenigstens einer der Heiligen Drei Könige – “welcher nochmal genau?” zu Wort kommen würde, scheiterte kläglich. Dabei hätte man auf diese Weise der spannenden Frage nachgehen können, warum diesen weisen Astrologen aus dem Morgenland als Gabenüberbringer nur eine symbolische Bedeutung zukommt.
Einzig der Erzengel Gabriel hat den Ausführungen des Christkinds aufmerksam gelauscht, dabei sein aufrichtiges Mitgefühl bezeugt und ihm den folgenden Vorschlag unterbreitet: Es wäre vielleicht ratsam, sich mit diesem Wiener Psychoanalytiker in Verbindung zu setzen. “Fürchte dich nicht!” “ Der übermächtige Vaterkomplex ist sein Spezialgebiet.” Erleichtert registriert das Christkind, dass es Gabriel falsch eingeschätzt hat. Wird ihm doch in solchen Momentan fast immer “Das Kind in Dir muss Frieden finden” empfohlen, was angesichts einer durch die Jahrhunderte transzendierenden und niemals erwachsen werdenden Existenz fast zynisch zu nennen ist. Und wenn wir schon mal bei überbordenden Allmachtsfantasien sind, so rangiert der Untertitel dieses Ratgebers “Der Schlüssel zur Lösung (Fast) aller Probleme” garantiert unter den Top-Ten. Während das Moderationsteam resigniert feststellen muss, dass ihnen die Kontrolle über die Sendung komplett entglitten ist, wofür man sich gegenseitig die Schuld zuweist, befinden das Christkind und der Erzengel sich in einer versöhnlichen Weihnachtsumarmung. Sie verabreden sich, die Feiertage mit lieb gewonnenen Gefährt*innen zu verbringen und auf diese Weise die frohe Friedensbotschaft und das Prinzip der Nächstenliebe zu zelebrieren. Halleluja!