Komm Baby, Tanz mit mir!

27. Jun 2021

Anlässlich unseres Salon-Debuts zum Thema Der Soundtrack unserer Gegenwart oder Was uns bewegt und was wir bewegen wollen habe ich folgenden Beitrag verfasst.

Intro

Ich liebe Literatur und Musik gleichermaßen. Da mir aber vor allem die Verbindung von beidem am Herzen liegt, wende ich mich heute Büchern zu, die genau das inhaltlich vermögen. Keine Panik, es handelt sich nicht um Musiktheorie, sondern literarisch erzählte, inspirierende sowie historische Inhalte. Nach einer schwierigen Entscheidungsphase ist es dennoch gelungen, eine kleine, aber feine Auswahl zusammen zu stellen. 

Beginnen wir mit Oliver Hilmes Herrin des Hügels, in dem das aufregende und ungewöhnliche Leben der Cosima Wagner sehr authentisch beschrieben wird. Es ist wohl nicht zu sehr gespoilert, wenn ich erwähne, dass hinter einem begnadeten Komponisten auch immer eine kämpferische Walküre – äh Frau steht, die keines ihrer ehrgeizigen Ziele aus den Augen verliert. Dass aber nicht nur Komponisten klassischer Musik leidensfähig sind, bringt Patrick Süskind in seinem Kammerspiel Der Kontrabass auf den Punkt. Augen auf bei der Instrumentenwahl, auch wenn es sich dabei um das EINZIG tragende und wichtigste Saiteninstrument im Orchester handelt. Als Liebhaber populärer Musik und dem dazugehörigen Zeitgeist outet sich Nick Hornby regelmäßig in seinen Werken. In High Fidelity soll der Protagonist einer Journalistin die Top 5-Liste seiner Lieblingssongs übermitteln, was ihn regelrecht in eine Lebenskrise stürzt, da er sich weder entscheiden kann, noch mit der einmal getroffenen Wahl zufrieden ist.Der britische Autor John Niven hingegen kennt derlei banale Probleme nicht und ist eher bekannt für seine zynisch-beobachtende Abrechnung mit der Musikindustrie. In A Second Coming müssen Leser*innen sich zwischen Himmel und Hölle im Kontext von Talentshows wie zum Beispiel Amerika’s got Talent entscheiden. Besonders überrascht hat mich allerdings ein Buch, dass ich ohne Empfehlung niemals in die Hand genommen hätte, da es den anschaulichen Titel The Song Machine trägt. 

Ouvertüre

Nicht selten empfinden wir Musik als eine launische, aber leidenschaftliche Geliebte, die uns mit verführerischem Geschick in ihren Bann zieht, dabei manchmal viel abverlangt und es vermag, unterschiedliche Emotionen freizusetzen. Himmelhochjauchzend rührt sie uns unvermutet zu Tränen, fördert Erinnerungen oder Reaktionen zutage, die uns ins Staunen versetzen. Reflexartig beginnen selbst unbewegliche Musik-Autisten zumindest mit dem großen Zeh zu wippen, alle anderen hält es bisweilen nicht auf den Stühlen, haben sich Rhythmus und Melodie erst mal ihren Weg in die Ohrmuschel gebahnt. 

Die Endorphin-ausschüttende Komponente von Musik, die auf unterschiedliche Weise bewegt, kann uns in Trance versetzten oder das Fürchten lehren. Die Frage nach dem, was wir bewegen wollen ist im musikalischen Diskurs nicht ganz einfach zu beantworten. 

1. Strophe

Manchmal wollen wir auch nur etwas bewirken. 

Wer Kinder hat, kann das sicher nachvollziehen. Ungeachtet unserer Bemühungen anhand von pränataler Prägung, musikalischer Früherziehung oder ähnlich manipulativer Methoden, einen anspruchsvollen Status Quo beim Nachwuchs herzustellen, fühlen wir uns mithin machtlos. Da hat man sich hochschwanger in Nachtclubs herumgetrieben, zu Hause ordentlich Beethoven und Bach gehört, nicht enden wollende Übungsstunden von Saiten- und Blasinstrumenten ertragen, dabei geduldig gelobt, geklatscht und gefördert. Doch kaum haben die Biester Spotify für sich entdeckt oder schlimmer noch, verstanden, wie man Alexa Anweisungen erteilt, kommt das böse Erwachen. Wehmütig denken wir an die Zeiten, als man noch zu Don’t Stop me Now oder Nirvana gemeinsam abgetanzt hat. Kein Elternratgeber hat uns darauf vorbereitet, dass Kinder im schulfähigen Alter einen eigenen Musikgeschmack entwickeln. Stolz präsentieren sie uns Playlists austauschbarer Acts mit Autotune-Stimme, die massentaugliche Hits von der Stange zum Besten geben. „Künstler“ wie Michael Schulte oder Timo Santos geben sich alle Mühe mit eingängigen Melodien, immer gleichen Beats und pathetischen Songtexten zu beeindrucken, die an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten sind. Aber Vorsicht, ein fehlender Künstlername lässt noch lange keine Rückschlüsse auf banale Inhalte oder mangelnde Musikalität zu, wie Offenbach Quaterhead, Klassy Jones oder ElyOtto es vermögen. Mit All we ever herar from you is Bla Bla Bla Bla bleiben eigentlich keine Fragen mehr offen und der Zeitgeist einer jungen Hörerschaft wird klar umrissen. Echte Rebellion klingt doch irgendwie anders, oder? 

Aber Halt Stopp! Erinnern wir uns zurück – nein nicht an unsere Jugend oder die unserer Eltern – dazu kommen wir noch. Vielmehr richten wir kurz unser Augenmerk auf den Kulturkritiker, Musikphilosophen und Soziologen des vergangenen Jahrhunderts, Theodor W. Adorno, der vor allem etwas gegen Populäre Musik, aber durchaus auch zeitgenössischen Jazz einzuwenden hatte. Adorno fällt sein vernichtendes Urteil mit den Attributen standardisierte und pseudoindividuelle Massenware. Kommt uns bekannt vor, dieser stets wiederkehrende Generationskonflikt, welcher den jeweils Jüngeren den „guten“ Musikgeschmack abspricht. Und wenn wir ehrlich sind, so handelt es sich doch nur um die sehr wechselhafte, musikalische Findungsphase junger Menschen, die wesentlich schneller vergessen als wir, dass der Crazy Frog einstdas Kinderzimmer beschallte. 

Natürlich lieben und wollen wir klassische Musik hören, aber eben nicht immer und vielleicht auch weniger 12-Ton-Musik als unbedingt notwendig. Aber auch hier wird differenziert: Strenge Klassikfans sehen Mozart als einen gefälligen Vertreter populärer Klassik an. Auch Bachs repetitive Etüden könnte man heute als Vorläufer des Minimal Electro einordnen. So überrascht es wenig, dass der dänische DJ Trentemüller, eigentlich gelernter Organist ist und damit bei weitem keine Ausnahme-Biografie hat. Demnach scheint unsere zumeist persönlich motivierte Strenge beim Thema Musik wenig zielführend zu sein. Offen gesagt, fühlen wir uns magisch angezogen von Pop, Soul & Funk, wollen Hip Hop, Beats und Bässe und sind empfänglich für elektronische Musik oder Indie Rock oder am besten alles zusammen. 

Refrain

Verschiedene Musikstile legitimieren uns unterschiedliche Identitäten anzunehmen, ohne dabei gleich als schizophren zu gelten. Gaben wir uns gestern noch Bartoks Ungarische Lieder im Konzerthaus, so lagen wir uns am darauffolgenden Abend bei der Engtanzparty komplett enthemmt zu Hits der 80er und 90er in den Armen. Je nach Stimmungslage und Gelegenheit tauschen wir Tangoschuhe gegen Pogo, singen lautstark Schlager oder erfreuen uns am Hamilton. Alles ist erlaubt, außer Volksmusik natürlich! Auch wenn klassische Musik eine sehr nachhaltige Daseinsberechtigung hat, gibt es gute Gründe, warum populäre Musik uns fasziniert, sei sie nun ein kurzlebiges One-Hit-Wonder oder ein Meilenstein der Musikgeschichte. Schuld daran sind, wir ahnen es schon – die Schweden.

2. Strophe

Die Anfänge der musikalischen Industrialisierung liegen mit Sicherheit in der Vervielfältigung von Tonträgern und entsprechenden Abspielgeräten. Plötzlich avancierte Musik zu einem massentauglichen Kulturgut, welches nun nicht mehr nur privilegierten Schichten vorbehalten war. Neben kommerziellen Interessen hatte das natürlich etwas Befreiendes, fast revolutionäres, was sich dann auch nicht selten in der Musik selber widerspiegelte. Produzenten wie Phill Spector oder Jeffrey Eppstein haben intensiv dazu beigetragen, dass populäre Musik von Soul, R’n’B bis Indie Pop zu einem gewinnträchtigen Geschäftsmodell wurden. Vor allem für sie selber. Zusätzlich wurde die Palette an Musikern und Songschreibern eben auch mit reinen Interpreten und Produzenten ergänzt. In sehr seltenen Fällen konnten die Interpreten nicht einmal singen. Aber zurück zu den Schweden und damit sind nicht ABBA gemeint. 

Wie John Seabroock in seinem eingangs erwähnten Buch The Song Machine eindrucksvoll schildert, verdanken wir einem kleinen Produzententeam aus Schweden eine unglaubliche Vielzahl an Hits, die Weltruhm erlangten. Namen wie Dr. Luke, Dennis Pop oder Max Martin – alles eigentlich DJs, Tontechniker, oder Musiker in Heavy Metall Bands, die heimlich zu Eternal Flame dahinschmolzen und ohnehin die meiste Zeit in Aufnahmestudios herumhingen. Als musikalische Ghostwriter/Produzenten begründeten sie eine neue Hit-Maschinerie mit populären Absichten. Begonnen hatte alles mit einem Demo-Tape einer unbekannten schwedischen Pop Kombo, das sich aus dem Kassettendeck von Dennis Pops altem Nissan einfach nicht mehr entfernen lies. So waren Dennis und sein Studiokollege gezwungen, das Demo immer und immer wieder zu hören. Bis sie schließlich ETWAS hörten. Es ist wohl diesem Umstand zu verdanken, dass Ace of Base mit The Sign der erste internationale Erfolg der Schwedischen Produzenten wurde und somit ein ungeahntes Potential freisetzte. Für heran- und stetig nachwachsende internationale Acts aus dem Disney Club wie Britney Spears oder Boygroups wie NKOTB, Backstreet Boys und NSync wurden händeringend Hits gebraucht. Aber auch Künstler wie Dr. Albarn, Robyn, Taylor Swift oder Rihanna waren durchaus auf die Hilfe von hitversprechenden Soundengeneers angewiesen. Das erklärt auch, die zu Anfang etwas gewöhnungsbedürftigen Textzeilen wie All that she wants is another Baby oder Baby hit me one more time. Im Gegensatz zu Song&Lyrics Liebhabern, wo Texte ein wesentlicher Bestandteil des Erlebnisses sind, war das Publikum von studioproduzierten Track&Hook-Hits weniger anspruchsvoll. Und ein wenig Schwenglich hat wohl noch niemandem geschadet.  

Refrain

Die voranschreitende Digitalisierung und Entwicklung des MP3-Musikformats zwang zwar die Musikindustrie in die Knie. Für Produzenten von Retorten Hits, die fortan auch nicht mehr zwangsläufig an ein Album gekoppelt sein mussten, offenbarte dieser Wandel ungeahnte Dimensionen. Und obwohl viele der Schwedischen Produzententeams inzwischen Studios in den USA und sogar Südkorea unterhalten, wollten die Schweden die Weltherrschaft. Denn ausgerechnet dem Gründer von Spotify gelang das, was selbst Steve Jobs nur unzureichend hinbekommen hatte. Eine Musikplattform, die fast alles zu einem sensationellen Preis anbietet – natürlich „Made in Schweden“.

Finale

Alter Schwede! Es scheint, dass alle genannten komplexen Lebensentwürfe ihre Berechtigung und individuelle Wirkungsweise haben. Egal wie ambitioniert Cosima Wagner den Erfolg ihres Mannes vorantrieb, so verteidigt der unübersichtliche Wagner-Clan von jeher wacker den Titel der „am schlimmsten zerstrittenen Familie“. Und auch als erfolgreicher Kontrabassist im Staatsorchester muss man die leidvolle Erfahrung machen, dass man trotz überdimensionaler Größe nicht gesehen wird. Ferner lernen wir, dass die Arbeit in einem Plattenladen in den 90er Jahren keine heilbringenden Erkenntnisse und bei weitem nur wenig Entscheidungsfreude mit sich bringt. Sofern wir in Sachen Musik aber auch unseren Kindern gegenüber nicht als übel gelaunte Kulturtheoretiker*innen enden wollen, sollten wir uns lieber in Toleranz und Nächstenliebe üben, indem wir das einzig wahre Gebot als neuen Glaubenssatz vor uns hertragen: Be Nice! – Um es mit Autor John Niven zu sagen.