„Der schwerste Kampf ist der gegen das Unwissen“

2. Nov 2021

Dieses stimmige Zitat des US-amerikanischen Medienwissenschaftlers und Soziologen Neil Postman würdigt den steinigen Weg der Bildung. Matthias Greffrath hat in seinem Essay Die Schule der Zukunft eine hervorragende Zusammenfassung dieses komplizierten Themas vorgenommen, auf die ich mich hier -beziehen möchte. 

Vor welche unvorhergesehene Herausforderungen eine mangelhafte Bildungspolitik uns unvermittelt stellen könnte, durften Schüler, Eltern, Lehrer und Erzieher in den vergangenen 20 Monaten am eigenen Leib erfahren.  In ungeahntem Ausmaß hat die Pandemie uns die großen Schwachstellen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nachdrücklich vor Augen geführt. 20 Monate, die ausgereicht haben, um offenzulegen, dass Chancengleichheit in der Bildung ein Mythos ist, daß längst überfällige Reformen sträflich  vernachlässigt wurden und nun einfache Antworten und pragmatische Schnellschüsse die Versäumnisse der Vergangenheit nicht kurzfristig heilen können. 
Postman hatte bereits Mitte der 90er Jahre, und lange bevor das Internet, digitale Endgeräte oder Apps ihren Siegeszug in unsere Haushalte antraten, gefordert , dass die Schule ein besonderer Ort sein müsse: Ein schützenswertes Biotop, in dem nicht nur Wissen vermittelt, sondern vor allem heranwachsende Menschen sozialisiert werden. Idealerweise formiert sich hier ein Grundverständnis von Zugehörigkeit und Werten, sowie Vorstellungen über die Vergangenheit und die Zukunft, an einem Ort für die elementaren Fragen nach dem Woher und Wohin, Warum und Wozu. 

Die Realität gestaltete sich leider anders: Zwar sah es so aus, als ob in den späten 60er Jahren, die vom Klassenkampf geprägten und längst ausgedienten Verhältnisse von Wissen ist Macht! und Wer Macht hat, teilt Wissen zu durch breite Forderungen nach Bildungsfreiheit und -gleichheit abgelöst werden sollten. Doch schon 20 Jahre später setzte eine schleichende Gegenbewegung ein, die den Reformwillen für gleiche Bildungschancen behinderte. Heutzutage sind die daraus entstandenen Missstände offensichtlich und eine wachsende Gruppe, der an Bildungsungleichheit leidenden, wird inzwischen offiziell als Bildungsverlierer benannt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ergibt sich eine Zusammensetzung aus einem Drittel an Hoch- bis Höchstqualifizierten, eine dünne Mittelschicht, die um den Aufstieg ringt und den Abstieg fürchtet, sowie eine wachsende Anzahl prekär beschäftigter Hilfskräfte und Billiglohnarbeiter. Auch wenn die breite Verfügbarkeit des Wissens im Informationszeitalter die Vermutung nahelegen könnte, daß eine breite Bildung für Alle gesellschaftlich nicht mehr zwingend notwendig wäre, so steht dies im krassen Gegensatz zum drezeitigen Fachkräftemangel und Ausbildungsnotstand. Daß in Deutschland derzeit allein 26.000 Grundschullehrer fehlen, verdeutlicht  die missliche Lage derweil nicht nur, sondern verstärkt diese auch.
Pluralistische Lebensweisen, wachsende Differenzierung und  Individualisierung sowie schwindende Homogenität sind außerdem dafür verantwortlich, daß zusammenhängende soziale Kompetenzen und kulturelle Bildung zunehmend stagnieren. Und um die Klassenspaltung noch weiter voranzutreiben, sind privilegierte Eltern zunehmend geneigt, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Diejenigen, die es finanziell nicht stemmen können, tun alles dafür, ihren Nachwuchs in jenen wenigen öffentlichen Schulen unterzubringen, die noch einen guten Ruf genießen. Reformen könnten also noch gelingen, unabhängig ob diese durch das bemerkenswerte Engagement einzelner Akteure oder mit zusätzlichen Geldern gefördert werden. Jedoch verhärtet sich der Eindruck, dass ein solider und dauerhafter Machbarkeitsbeweis für die Kultusministerien nicht ausreicht, um endlich aktiv zu werden.

Als nun in der Pandemie auch diejenigen betroffen waren, die zur Bildungs- oder zur Wohlstandselite gehören, kam die dringende Forderung nach einer Bildungsrevolution und der  Schule der Zukunft wieder auf die Agenda. Die Schule meines Sohnes war mit stabilen Internetverbindungen gut vernetzt, verfügte über ein überwiegend junges Lehrerkollegium und tat alles dafür, dass Distanzunterricht tatsächlich funktionierte. Zusätzlich opferte ich einen Großteil meiner Zeit, um ebenfalls die Rolle des Lehrkörpers zu übernehmen, zu motivieren und erklärend oder unterstützend zur Seite zu stehen. Optimale Bedingungen sollte man meinen, jedoch ließen sich zum Ende der 3. Klasse eklatante Wissenslücken im Basiswissen verzeichnen. Der unablässige Ruf nach digitaler Bildung, welche auf einen Schlag alle Probleme beseitigen können sollte, wurde  in Form von Lernplattformen beantwortet deren Lerneffekte letztlich aber nur offensichtlich nur minimal waren, während sie die ungeliebte Bildschirmzeit jedoch auf ein Maximum erhöhten. Ferner wurde  durch das Gamification-Prinzip der  Lern-Apps vor allem ein Schneller ist besser vermittelt, während einfache kognitive Prozesse, wie beispielsweise das Einmaleins, zu kurz kamen. Aber dafür war ich ja noch da und paukte es daher auf ganz altmodische Weise mit meinem Drittklässler. Angesichts der desaströsen Zustände in bildungsfernen Familien, ist das natürlich Jammern auf allerhöchstem Niveau. Dennoch zeichnet sich aus meiner Sicht  ein beunruhigender Trend ab.

In Spanien wurden zur selben Zeit massenhaft Hilfslehrer eingestellt, um schnell und möglichst unbürokratisch personelle Hilfe zu leisten. In Deutschland schob man die Verantwortung jedoch nur der fehlenden digitalen Infrastruktur zu und sah den Ausweg allein in mehr Hardware und zusätzlichen Lernplattformen. Was bereits in der Theorie kontraproduktiv klingt, ist es in der Praxis umso mehr. Hektisch verabschiedete Maßnahmen, die nach Betriebsamkeit aussehen sollten, stellten Tablets für Schulkinder und einen einmalig gezahlten Kinderbonus in Höhe von 300 Euro in Aussicht. Wenn die Schulen und Betreuungseinrichtungen geschlossen sind, brauchen Kinder aber auf keinen Fall einen unbegrenzten Zugang zu digitalen Endgeräten, auch wenn es den Eltern scheinbare Erleichterung durch deren gesciherte Ablenkung und Beschäftigung verschafft. Alternativlos wie immer verließ man sich wieder auf den selbstlosen Einsatz der mehr oder weniger befähigten Erziehungsberechtigten. Die Deutsche Antwort auf den akuten Bildungsnotstand war somit auch erst einmal ausgeschöpft, obwohl die offensichtliche und vor allem nachhaltigere Lösung des Problems in mehr qualifiziertem Personal gelegen hätte. Obgleich sich auch zahlreiche motivierte Expert*innen mit bezahlbaren und realistischen Lösungen zu Wort meldeten, blieben diese gänzlich ungehört. Besonders gut gefiel mir derweil der Vorschlag, die Pandemie trotz aller damit verbundenen Schattenseiten als eine Gelegenheit für alternative pädagogische Lerneffekte anzusehen. Neben interessanten Aspekten im Spektrum von Wissenschaft, Politik und Sozialem hätte es zusätzlich reichlich Forschungsmöglichkeiten gegeben. In Zeiten sozialer Distanz hörten sich projektbezogenes oder soziales Engagement außerdem nach einem Zugewinn an Erfahrung an. 

Aber auch abseits pandemischer Extremsituationen kann uns langfristig nur eine minimale Verdopplung der  Lehrkräfte aus der akuten Bildungskrise helfen. Doch die stets aufgeschobene Bildungsreform wird scheinbar nur von ambitionierten Unternehmer*innen und Wirtschaftsvertreter*innen mit fragwürdigen Eigeninteressen vorangetrieben, die mit Digitaler Bildung für Alle das komplizierte Konstrukt Schule revolutionieren wollen. Von politischer Seite her werden diese leeren Schlagworte dankend und anscheinend bedenkenlos übernommen, während deren tatsächliche Maßnahmen noch immer im Ungewissen liegen.
Was zu einfach und zu schön klingt, um wahr zu sein, eignet sich jedoch nunmal seit jeher hervorragend für politische Heilsversprechen, die nun insbesondere Hardware- und Software-Unternehmen erfreuen dürften. Entscheiden jetzt eine technikgläubige Jüngerschaft und das staatlich gestützte Wirtschaftswachstum über Sinn und Inhalt der Bildung? Das Aufstiegsversprechen durch digitale Bildung, wonach bildungsferne Schüler*innen anhand digitaler Bildung zu den wohl behüteten Bildungsbürgerkindern aufschließen könnten, ist ebenso abwegig wie zynisch. Die Hoffnung auf Bildungsungleichheit übersieht dabei, daß der Schulerfolg größtenteils vom Elternhaus abhängig ist. Denn dort werden nicht nur die Grundlagen für potentielle Netzwerke und stabile Beziehungen geknüpft, sondern auch Umgangsformen, Sprache und Habitus geprägt. Zum jetzigen Zeitpunkt und ohne umfassende Reformen können Bildungseinrichtungen Defizite im familiären Bereich nicht ansatzweise ausgleichen. Ungeachtet des lobenswerten Engagements von Lehrkräften und Erzieher*innen vergrößert sich derweil auch die Kluft derer, die in Bildung investieren können und denen, die dies nicht können. Unsere intern zwar homogenen doch untereinander stark diversifizierten Bezugsgruppen verhindern zudem, dass in der Schule noch so etwas wie Öffentlichkeit erlebt wird. Derweil stellt sich auch die Frage, was wir noch miteinander teilen können oder wollen werden, wenn es innerhalb unserer Parallelwelten kaum noch kulturelle Unterschiede gibt? 

In einer idealen Welt ist die Schule eine zentrale soziale Begegnungsstätte, die für einen jungen Menschen prägend ist. Von neoliberalen Vorstellungen befreit, sollte dessen Zweck auch in der Ausprägung von sinnstiftenden Sichtweisen und alternativen Lebensentwürfen sein, während zugleich ein gemeinsamer Konsens an Werten geschaffen wird, die auf ein zukünftiges Leben in der Gesellschaft vorbereiten. Denn unsere Kinder müssen auf jene künftigen Herausforderungen vorbereitet werden, welche sich bereits seit längerem abzeichnen. Sei es nun der Klimawandel, zunehmende Migrationsbewegungen, ein voranschreitender digitaler Wandel, der Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt oder sonstige Veränderungen. Weder digitale Bildung noch die Rückkehr zum Regelbetrieb werden hierfür ausreichen.
Es soll hier nicht der Eindruck von Netzpessimismus entstehen. Doch ist es unbestritten, dass wir an vielen Stellen eine große Überforderung mit dem digitalen Wandel beobachten können. Unsere Kinder also leichtfertig, planlos oder nur komplett unvoreingenommen und  personell mangelhaft betreut in diese Welt zu entlassen, erscheint mir nicht der richtige Weg zu sein. Wäre es nicht ratsam zumindest in der Eintrittsphase in die digitale Lernwelt einen stärkeren, aufklärenden Fokus auf die Metathema der Medienkompetenz zu legen? Dabei wäre es vor allem notwendig, bildungferne Familien zu unterstützen.
Letztlich werden nur diejenigen grundsätzliche Fähigkeiten erlernen und unsere Zukunft erfolgreich mitgestalten können, die abseits von reinem Anwenderwissen die entscheidenden Fragen nach einem holistischen Wer sind wir, woher wir kommen und wohin wir wollen stellen. Für die Beantwortung dieser elementaren Fragen ist vor allem ein zwischenmenschlicher Austausch mit motivierten und pädagogisch qualifizierten Spezialisten erforderlich.
Das Bewusstsein für die großen zu erwartenden Veränderungen, hat sich bei vielen von uns bereits manifestiert. In diesem Bewusstsein nun den neugierigem Wissensdurst mit optimistischen Zukunftsvisionen zu füttern, sollte das Ziel einer dauerhaft wirksamen und egalitären Bildungspolitik sein. Die Umsetzung setzt ein bedingungsloses Engagement pädagogischer Betreuer sowie den Willen zu einer disruptiven Veränderung voraus, welche momentan leider ausschließlich von der Digitalisierung beansprucht wird. Mit Fridays for Future ist aber längst ein erster Schritt in die richtige Richtung gelungen, jedoch dürften der analoge Aktivismus und der Ruf nach den dringend benötigten Veränderungen gerne noch lauter ausfallen. Gerade bei der Bildung  sollte man doch auf einen gesellschaftlichen Konsens bauen dürfen, wonach insbesondere die Schwächsten mit einzubeziehen sind, die andernfalls am meisten unter den Folgen leiden würden. Das ist zwar viel verlangt und wird keinesfalls von der Bildungspolitik alleine gestemmt werden können. Daher sollten wir darauf achten, dass wir die Gestaltung dieses Weges nicht aus Bequemlichkeit den falschen überlassen. 

Quelle: Matthias Greffrath: Die Schule der Zukunft: 

https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=935516

Essay und Diskurs | Inventur und Neustart | Inventur und Neustart (3/3) Bildung – Die Schule der Zukunft 

„Der schwerste Kampf ist der gegen das Unwissen“

Dieses stimmige Zitat des US-amerikanischen Medienwissenschaftlers und Soziologen Neil Postman würdigt den steinigen Weg der Bildung. Matthias Greffrath hat in seinem Essay Die Schule der Zukunft eine hervorragende Zusammenfassung dieses komplizierten Themas vorgenommen, auf die ich mich hier -beziehen möchte. 

Vor welche unvorhergesehene Herausforderungen eine mangelhafte Bildungspolitik uns unvermittelt stellen könnte, durften Schüler, Eltern, Lehrer und Erzieher in den vergangenen 20 Monaten am eigenen Leib erfahren.  In ungeahntem Ausmaß hat die Pandemie uns die großen Schwachstellen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nachdrücklich vor Augen geführt. 20 Monate, die ausgereicht haben, um offenzulegen, dass Chancengleichheit in der Bildung ein Mythos ist, daß längst überfällige Reformen sträflich  vernachlässigt wurden und nun einfache Antworten und pragmatische Schnellschüsse die Versäumnisse der Vergangenheit nicht kurzfristig heilen können. 
Postman hatte bereits Mitte der 90er Jahre, und lange bevor das Internet, digitale Endgeräte oder Apps ihren Siegeszug in unsere Haushalte antraten, gefordert , dass die Schule ein besonderer Ort sein müsse: Ein schützenswertes Biotop, in dem nicht nur Wissen vermittelt, sondern vor allem heranwachsende Menschen sozialisiert werden. Idealerweise formiert sich hier ein Grundverständnis von Zugehörigkeit und Werten, sowie Vorstellungen über die Vergangenheit und die Zukunft, an einem Ort für die elementaren Fragen nach dem Woher und Wohin, Warum und Wozu. 

Die Realität gestaltete sich leider anders: Zwar sah es so aus, als ob in den späten 60er Jahren, die vom Klassenkampf geprägten und längst ausgedienten Verhältnisse von Wissen ist Macht! und Wer Macht hat, teilt Wissen zu durch breite Forderungen nach Bildungsfreiheit und -gleichheit abgelöst werden sollten. Doch schon 20 Jahre später setzte eine schleichende Gegenbewegung ein, die den Reformwillen für gleiche Bildungschancen behinderte. Heutzutage sind die daraus entstandenen Missstände offensichtlich und eine wachsende Gruppe, der an Bildungsungleichheit leidenden, wird inzwischen offiziell als Bildungsverlierer benannt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ergibt sich eine Zusammensetzung aus einem Drittel an Hoch- bis Höchstqualifizierten, eine dünne Mittelschicht, die um den Aufstieg ringt und den Abstieg fürchtet, sowie eine wachsende Anzahl prekär beschäftigter Hilfskräfte und Billiglohnarbeiter. Auch wenn die breite Verfügbarkeit des Wissens im Informationszeitalter die Vermutung nahelegen könnte, daß eine breite Bildung für Alle gesellschaftlich nicht mehr zwingend notwendig wäre, so steht dies im krassen Gegensatz zum drezeitigen Fachkräftemangel und Ausbildungsnotstand. Daß in Deutschland derzeit allein 26.000 Grundschullehrer fehlen, verdeutlicht  die missliche Lage derweil nicht nur, sondern verstärkt diese auch.
Pluralistische Lebensweisen, wachsende Differenzierung und  Individualisierung sowie schwindende Homogenität sind außerdem dafür verantwortlich, daß zusammenhängende soziale Kompetenzen und kulturelle Bildung zunehmend stagnieren. Und um die Klassenspaltung noch weiter voranzutreiben, sind privilegierte Eltern zunehmend geneigt, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Diejenigen, die es finanziell nicht stemmen können, tun alles dafür, ihren Nachwuchs in jenen wenigen öffentlichen Schulen unterzubringen, die noch einen guten Ruf genießen. Reformen könnten also noch gelingen, unabhängig ob diese durch das bemerkenswerte Engagement einzelner Akteure oder mit zusätzlichen Geldern gefördert werden. Jedoch verhärtet sich der Eindruck, dass ein solider und dauerhafter Machbarkeitsbeweis für die Kultusministerien nicht ausreicht, um endlich aktiv zu werden.

Als nun in der Pandemie auch diejenigen betroffen waren, die zur Bildungs- oder zur Wohlstandselite gehören, kam die dringende Forderung nach einer Bildungsrevolution und der  Schule der Zukunft wieder auf die Agenda. Die Schule meines Sohnes war mit stabilen Internetverbindungen gut vernetzt, verfügte über ein überwiegend junges Lehrerkollegium und tat alles dafür, dass Distanzunterricht tatsächlich funktionierte. Zusätzlich opferte ich einen Großteil meiner Zeit, um ebenfalls die Rolle des Lehrkörpers zu übernehmen, zu motivieren und erklärend oder unterstützend zur Seite zu stehen. Optimale Bedingungen sollte man meinen, jedoch ließen sich zum Ende der 3. Klasse eklatante Wissenslücken im Basiswissen verzeichnen. Der unablässige Ruf nach digitaler Bildung, welche auf einen Schlag alle Probleme beseitigen können sollte, wurde  in Form von Lernplattformen beantwortet deren Lerneffekte letztlich aber nur offensichtlich nur minimal waren, während sie die ungeliebte Bildschirmzeit jedoch auf ein Maximum erhöhten. Ferner wurde  durch das Gamification-Prinzip der  Lern-Apps vor allem ein Schneller ist besser vermittelt, während einfache kognitive Prozesse, wie beispielsweise das Einmaleins, zu kurz kamen. Aber dafür war ich ja noch da und paukte es daher auf ganz altmodische Weise mit meinem Drittklässler. Angesichts der desaströsen Zustände in bildungsfernen Familien, ist das natürlich Jammern auf allerhöchstem Niveau. Dennoch zeichnet sich aus meiner Sicht  ein beunruhigender Trend ab.

In Spanien wurden zur selben Zeit massenhaft Hilfslehrer eingestellt, um schnell und möglichst unbürokratisch personelle Hilfe zu leisten. In Deutschland schob man die Verantwortung jedoch nur der fehlenden digitalen Infrastruktur zu und sah den Ausweg allein in mehr Hardware und zusätzlichen Lernplattformen. Was bereits in der Theorie kontraproduktiv klingt, ist es in der Praxis umso mehr. Hektisch verabschiedete Maßnahmen, die nach Betriebsamkeit aussehen sollten, stellten Tablets für Schulkinder und einen einmalig gezahlten Kinderbonus in Höhe von 300 Euro in Aussicht. Wenn die Schulen und Betreuungseinrichtungen geschlossen sind, brauchen Kinder aber auf keinen Fall einen unbegrenzten Zugang zu digitalen Endgeräten, auch wenn es den Eltern scheinbare Erleichterung durch deren gesciherte Ablenkung und Beschäftigung verschafft. Alternativlos wie immer verließ man sich wieder auf den selbstlosen Einsatz der mehr oder weniger befähigten Erziehungsberechtigten. Die Deutsche Antwort auf den akuten Bildungsnotstand war somit auch erst einmal ausgeschöpft, obwohl die offensichtliche und vor allem nachhaltigere Lösung des Problems in mehr qualifiziertem Personal gelegen hätte. Obgleich sich auch zahlreiche motivierte Expert*innen mit bezahlbaren und realistischen Lösungen zu Wort meldeten, blieben diese gänzlich ungehört. Besonders gut gefiel mir derweil der Vorschlag, die Pandemie trotz aller damit verbundenen Schattenseiten als eine Gelegenheit für alternative pädagogische Lerneffekte anzusehen. Neben interessanten Aspekten im Spektrum von Wissenschaft, Politik und Sozialem hätte es zusätzlich reichlich Forschungsmöglichkeiten gegeben. In Zeiten sozialer Distanz hörten sich projektbezogenes oder soziales Engagement außerdem nach einem Zugewinn an Erfahrung an. 

Aber auch abseits pandemischer Extremsituationen kann uns langfristig nur eine minimale Verdopplung der  Lehrkräfte aus der akuten Bildungskrise helfen. Doch die stets aufgeschobene Bildungsreform wird scheinbar nur von ambitionierten Unternehmer*innen und Wirtschaftsvertreter*innen mit fragwürdigen Eigeninteressen vorangetrieben, die mit Digitaler Bildung für Alle das komplizierte Konstrukt Schule revolutionieren wollen. Von politischer Seite her werden diese leeren Schlagworte dankend und anscheinend bedenkenlos übernommen, während deren tatsächliche Maßnahmen noch immer im Ungewissen liegen.
Was zu einfach und zu schön klingt, um wahr zu sein, eignet sich jedoch nunmal seit jeher hervorragend für politische Heilsversprechen, die nun insbesondere Hardware- und Software-Unternehmen erfreuen dürften. Entscheiden jetzt eine technikgläubige Jüngerschaft und das staatlich gestützte Wirtschaftswachstum über Sinn und Inhalt der Bildung? Das Aufstiegsversprechen durch digitale Bildung, wonach bildungsferne Schüler*innen anhand digitaler Bildung zu den wohl behüteten Bildungsbürgerkindern aufschließen könnten, ist ebenso abwegig wie zynisch. Die Hoffnung auf Bildungsungleichheit übersieht dabei, daß der Schulerfolg größtenteils vom Elternhaus abhängig ist. Denn dort werden nicht nur die Grundlagen für potentielle Netzwerke und stabile Beziehungen geknüpft, sondern auch Umgangsformen, Sprache und Habitus geprägt. Zum jetzigen Zeitpunkt und ohne umfassende Reformen können Bildungseinrichtungen Defizite im familiären Bereich nicht ansatzweise ausgleichen. Ungeachtet des lobenswerten Engagements von Lehrkräften und Erzieher*innen vergrößert sich derweil auch die Kluft derer, die in Bildung investieren können und denen, die dies nicht können. Unsere intern zwar homogenen doch untereinander stark diversifizierten Bezugsgruppen verhindern zudem, dass in der Schule noch so etwas wie Öffentlichkeit erlebt wird. Derweil stellt sich auch die Frage, was wir noch miteinander teilen können oder wollen werden, wenn es innerhalb unserer Parallelwelten kaum noch kulturelle Unterschiede gibt? 

In einer idealen Welt ist die Schule eine zentrale soziale Begegnungsstätte, die für einen jungen Menschen prägend ist. Von neoliberalen Vorstellungen befreit, sollte dessen Zweck auch in der Ausprägung von sinnstiftenden Sichtweisen und alternativen Lebensentwürfen sein, während zugleich ein gemeinsamer Konsens an Werten geschaffen wird, die auf ein zukünftiges Leben in der Gesellschaft vorbereiten. Denn unsere Kinder müssen auf jene künftigen Herausforderungen vorbereitet werden, welche sich bereits seit längerem abzeichnen. Sei es nun der Klimawandel, zunehmende Migrationsbewegungen, ein voranschreitender digitaler Wandel, der Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt oder sonstige Veränderungen. Weder digitale Bildung noch die Rückkehr zum Regelbetrieb werden hierfür ausreichen.
Es soll hier nicht der Eindruck von Netzpessimismus entstehen. Doch ist es unbestritten, dass wir an vielen Stellen eine große Überforderung mit dem digitalen Wandel beobachten können. Unsere Kinder also leichtfertig, planlos oder nur komplett unvoreingenommen und  personell mangelhaft betreut in diese Welt zu entlassen, erscheint mir nicht der richtige Weg zu sein. Wäre es nicht ratsam zumindest in der Eintrittsphase in die digitale Lernwelt einen stärkeren, aufklärenden Fokus auf die Metathema der Medienkompetenz zu legen? Dabei wäre es vor allem notwendig, bildungferne Familien zu unterstützen.
Letztlich werden nur diejenigen grundsätzliche Fähigkeiten erlernen und unsere Zukunft erfolgreich mitgestalten können, die abseits von reinem Anwenderwissen die entscheidenden Fragen nach einem holistischen Wer sind wir, woher wir kommen und wohin wir wollen stellen. Für die Beantwortung dieser elementaren Fragen ist vor allem ein zwischenmenschlicher Austausch mit motivierten und pädagogisch qualifizierten Spezialisten erforderlich.
Das Bewusstsein für die großen zu erwartenden Veränderungen, hat sich bei vielen von uns bereits manifestiert. In diesem Bewusstsein nun den neugierigem Wissensdurst mit optimistischen Zukunftsvisionen zu füttern, sollte das Ziel einer dauerhaft wirksamen und egalitären Bildungspolitik sein. Die Umsetzung setzt ein bedingungsloses Engagement pädagogischer Betreuer sowie den Willen zu einer disruptiven Veränderung voraus, welche momentan leider ausschließlich von der Digitalisierung beansprucht wird. Mit Fridays for Future ist aber längst ein erster Schritt in die richtige Richtung gelungen, jedoch dürften der analoge Aktivismus und der Ruf nach den dringend benötigten Veränderungen gerne noch lauter ausfallen. Gerade bei der Bildung  sollte man doch auf einen gesellschaftlichen Konsens bauen dürfen, wonach insbesondere die Schwächsten mit einzubeziehen sind, die andernfalls am meisten unter den Folgen leiden würden. Das ist zwar viel verlangt und wird keinesfalls von der Bildungspolitik alleine gestemmt werden können. Daher sollten wir darauf achten, dass wir die Gestaltung dieses Weges nicht aus Bequemlichkeit den falschen überlassen. 

Quelle: Matthias Greffrath: Die Schule der Zukunft: 

https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=935516

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