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Ich bin da mal über Beuys gestolpert…

27. Sep 2021

Joseph Beuys ist in vielerlei Hinsicht ein Phänomen, über das es sich getrost stolpern lässt. Nicht selten sind seine raumfüllenden Exponate sperrig, materialintensiv und schwer verständlich. Beuys selbst ein bizarrer Künstlertyp, der sowohl seinen Rheinländischen Charme wie auch seine durchschlagende Wirkung mit eigensinniger Klarheit gezielt einzusetzen weiß.
Die ungenaue Rezeption seines umfangreichen Werkes wird leichtfertig auf die Fettecke oder Installationen mit leblosen Hasen reduziert. Dabei überzeugt das Phänomen Beuys vor allem durch sein universelles Kunstverständnis, sowie der gesellschaftspolitischen Forderung nach mehr Chancengleichheit im Kunstbetrieb. Seinen ganzheitlichen Anspruch konkretisiert Beuys, indem er den erweiterten Kunstbegriff als sein bestes Kunstwerk bezeichnet. Unter Berücksichtigung der anthroposophischen Lehre haben alle Disziplinen einen Einfluss auf schöpferische Fähigkeiten und setzen vor allem den Menschen und seine Umwelt in Beziehung. Dies führt unweigerlich zur sozialen Plastik, die wiederum nach den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit strebt und schlußendlich auch die ökologische Plastik ermöglicht. 

Auch wenn wir heute mit Anthroposophie etwas belustigt eurythmetische Darstellungsformen assoziieren, mag es Beuys größte Kritiker überraschen, dass er vor allem sprachgewaltig talentiert war. Die Gewichtung der Sprache, nicht bloß als erläuterndes Element, nahm in seinem Gesamtwerk eine zentrale Rolle ein: „Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es ist, er ging nicht von der sogenannten bildnerischen Begabung aus.“ (J. Beuys. 1986) Erst durch das gedachte, gesprochene oder geschriebene Wort nimmt unser Denken und Handeln Gestalt an. Als ich durch eine Freundin über das Gedicht Anleitung zum Glücklichsein stolperte, hatte dies einen nachhaltigen Gänsehauteffekt zur Folge. Die Zeilen packten und fesselten mich, schienen augenfällig und nachhaltig inspirierend zugleich, ließen mich nicht mehr los.   

Wie wir unser persönliches Glücklichsein definieren, was wir dafür tun, lassen oder bereit sind zu opfern, beschäftigt nicht nur Soziologen oder die Werbewirtschaft. Wenn Jean-Pierre Wils in seinem Essay vom Glücksimperativ spricht, so beleuchtet er zahlreiche Aspekte des für und wider: Das Streben nach – oder besser gesagt das bewusste Empfinden von Glück gehört zu einem Alleinstellungsmerkmal der Gattung Mensch. Sich als glücklich wahrzunehmen, erfordert eine  willentliche Stellungnahme zu sich selbst. Segen oder Fluch? Eine anfechtbare Glücksbegabung mit ungeahnten Nebenwirkungen. Mitunter laufen wir Gefahr, uns von beherrschenden Glücksansprüchen durchs Dorf treiben zu lassen oder unternehmen den fruchtlosen Versuch auf das Glück zu verzichten. Hinzu kommt, dass wir auch ein Talent zum Unglücklichsein haben. Vielleicht wäre es ein lohnenswerter Versuch, sich vom Glück loszusagen, um sich auf die Unglücksvermeidung zu konzentrieren? Ein Wunschdenken, das wohl eher zum Entwicklungspotential einer Künstlichen Intelligenz taugt. Neben der individuell stark variierenden Glücksbilanz, die darüberhinaus von der Fallhöhe abhängig ist, scheint auch die mangelnde Quantifizierbarkeit in festgelegte Glückskriterien problematisch. 

Individuelles Glück ist in einer unglücklichen Gesellschaft denkbar und umgekehrt. Dennoch scheint in unserem aktuellen Kulturkreis die Glücksbescheidenheit irgendwie aus der Mode gekommen zu sein. Als handele es sich um eine Pflichtübung steigt die in sich widersprüchliche Erwartung dauerhafter Glücksaufforderungen, die darauf abzielet, den Glücksanspruch zu beeinflussen. In Ermangelung von Maßstäben, die das individuelle Verlangen nach Glück beziffern können, bleibt dieses paradoxe Glücksnarrativ vage. Wesentlich konkreter tritt die durch den Glücksimperativ ausgelöste Wirkung von Enttäuschung, Überforderung oder eine Entfremdung von sich selbst zutage, die uns infolgedessen ins Unglück stürzen kann. 

Auch wenn sich das Glücksempfinden an rein sinnliche oder euphorische. dafür jedoch kurzlebige Augenblicke klammert, können wir diese nicht fortwährend erzeugen. Wir wünschen uns so sehr, einen aktiven Beitrag zu unserem Glück leisten zu können. Zumindest entwickelt sich ein Verlangen, unabhängig davon, ob die Erfüllung dieses Verlangens nicht nach mehr und immer noch mehr Verlangen verlangt. Der Grund für unser Festhalten am Glück liegt am Nichtglauben an ein glückseliges Leben nach dem Tod und dem daraus resultierenden Zwang, das beste aus unserer Lebenszeit zu machen. Getrieben und beschleunigt streben wir nach Genusssättigung und leiden unter kollektiver Versäumnisangst auch FOMO genannt. Aus unterschiedlichen Gründen täten wir gut daran, uns in Glücksgelassenheit zu üben. Ausgehend von der wesentlich realistischen Vorstellung, dass Aspekte wie Gerechtigkeit und Schicksal, Rückstand oder Vorteil gemeinhin von uns nicht gesteuert werden können. 

Ist es nicht genau diese Gelassenheit in Bezug auf die Lebenswirklichkeit, die uns Beuys in seinem Gedicht vermitteln will? Anstatt das Glücksnarrativ ausschließlich an der eigenen hedonistischen Lebensbilanz festzumachen, wäre eine veränderte Haltung zum Glück durchaus lohnenswert. Vom Individuum abgelöst kann eine allgemeine Glücksdefinition mehr Verantwortung für das eigene Denken und Handeln – vor allem in Bezug auf nachfolgende Generationen –  übernehmen. Also ist es doch eine Frage der Einstellung: Verzweifelte sehen mitunter mehr, was glückliche Menschen ignorieren. Jede Scherbe spiegelt das Licht und eine kollektive Glücksbescheidenheit trägt dazu bei, dass das Schicksal nicht immer das letzte Wort hat. Anstelle getriebener Glücksritterschaft steht die Gabe mittels der richtigen Worte danach zu rufen und sein Möglichstes zum Gelingen beizutragen.  Oder um es mit Beuys weisen Worten zu sagen: Sich fallen lassen, kleine Zeichen machen, die „ja“ sagen oder verschiedene Stimmungen zu pflegen erscheint ratsam. Dinge aus Liebe zu tun, Geld weiter zu geben oder mit Kindern zu kichern und Alten zuzuhören hat etwas sinnstiftendes. Offen und frei sein, die Angst fallen zu lassen, um jemand Gefährlichen zum Tee einzuladen hört sich nach einem verheißungsvollen Lebensentwurf an. Und wenn das alles nicht hilft, sollte man einfach mal wieder „Ja, ja, ja, ja jaaaa … und „Nee, nee nee neee…“ proklamieren..   

Quelle: 

Glücksimperativ – ein Fallstrick?

 von Jeam-Pierre Wils (Theologe und Ethiker) 

Aus der Dlf Audiothek | Essay und Diskurs | Moderne Lebensqualität | Der Glücksimperativ – ein Fallstrick? 

https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=731113

Ich bin da mal über Beuys gestolpert…

Joseph Beuys ist in vielerlei Hinsicht ein Phänomen, über das es sich getrost stolpern lässt. Nicht selten sind seine raumfüllenden Exponate sperrig, materialintensiv und schwer verständlich. Beuys selbst ein bizarrer Künstlertyp, der sowohl seinen Rheinländischen Charme wie auch seine durchschlagende Wirkung mit eigensinniger Klarheit gezielt einzusetzen weiß.
Die ungenaue Rezeption seines umfangreichen Werkes wird leichtfertig auf die Fettecke oder Installationen mit leblosen Hasen reduziert. Dabei überzeugt das Phänomen Beuys vor allem durch sein universelles Kunstverständnis, sowie der gesellschaftspolitischen Forderung nach mehr Chancengleichheit im Kunstbetrieb. Seinen ganzheitlichen Anspruch konkretisiert Beuys, indem er den erweiterten Kunstbegriff als sein bestes Kunstwerk bezeichnet. Unter Berücksichtigung der anthroposophischen Lehre haben alle Disziplinen einen Einfluss auf schöpferische Fähigkeiten und setzen vor allem den Menschen und seine Umwelt in Beziehung. Dies führt unweigerlich zur sozialen Plastik, die wiederum nach den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit strebt und schlußendlich auch die ökologische Plastik ermöglicht. 

Auch wenn wir heute mit Anthroposophie etwas belustigt eurythmetische Darstellungsformen assoziieren, mag es Beuys größte Kritiker überraschen, dass er vor allem sprachgewaltig talentiert war. Die Gewichtung der Sprache, nicht bloß als erläuterndes Element, nahm in seinem Gesamtwerk eine zentrale Rolle ein: „Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es ist, er ging nicht von der sogenannten bildnerischen Begabung aus.“ (J. Beuys. 1986) Erst durch das gedachte, gesprochene oder geschriebene Wort nimmt unser Denken und Handeln Gestalt an. Als ich durch eine Freundin über das Gedicht Anleitung zum Glücklichsein stolperte, hatte dies einen nachhaltigen Gänsehauteffekt zur Folge. Die Zeilen packten und fesselten mich, schienen augenfällig und nachhaltig inspirierend zugleich, ließen mich nicht mehr los.   

Wie wir unser persönliches Glücklichsein definieren, was wir dafür tun, lassen oder bereit sind zu opfern, beschäftigt nicht nur Soziologen oder die Werbewirtschaft. Wenn Jean-Pierre Wils in seinem Essay vom Glücksimperativ spricht, so beleuchtet er zahlreiche Aspekte des für und wider: Das Streben nach – oder besser gesagt das bewusste Empfinden von Glück gehört zu einem Alleinstellungsmerkmal der Gattung Mensch. Sich als glücklich wahrzunehmen, erfordert eine  willentliche Stellungnahme zu sich selbst. Segen oder Fluch? Eine anfechtbare Glücksbegabung mit ungeahnten Nebenwirkungen. Mitunter laufen wir Gefahr, uns von beherrschenden Glücksansprüchen durchs Dorf treiben zu lassen oder unternehmen den fruchtlosen Versuch auf das Glück zu verzichten. Hinzu kommt, dass wir auch ein Talent zum Unglücklichsein haben. Vielleicht wäre es ein lohnenswerter Versuch, sich vom Glück loszusagen, um sich auf die Unglücksvermeidung zu konzentrieren? Ein Wunschdenken, das wohl eher zum Entwicklungspotential einer Künstlichen Intelligenz taugt. Neben der individuell stark variierenden Glücksbilanz, die darüberhinaus von der Fallhöhe abhängig ist, scheint auch die mangelnde Quantifizierbarkeit in festgelegte Glückskriterien problematisch. 

Individuelles Glück ist in einer unglücklichen Gesellschaft denkbar und umgekehrt. Dennoch scheint in unserem aktuellen Kulturkreis die Glücksbescheidenheit irgendwie aus der Mode gekommen zu sein. Als handele es sich um eine Pflichtübung steigt die in sich widersprüchliche Erwartung dauerhafter Glücksaufforderungen, die darauf abzielet, den Glücksanspruch zu beeinflussen. In Ermangelung von Maßstäben, die das individuelle Verlangen nach Glück beziffern können, bleibt dieses paradoxe Glücksnarrativ vage. Wesentlich konkreter tritt die durch den Glücksimperativ ausgelöste Wirkung von Enttäuschung, Überforderung oder eine Entfremdung von sich selbst zutage, die uns infolgedessen ins Unglück stürzen kann. 

Auch wenn sich das Glücksempfinden an rein sinnliche oder euphorische. dafür jedoch kurzlebige Augenblicke klammert, können wir diese nicht fortwährend erzeugen. Wir wünschen uns so sehr, einen aktiven Beitrag zu unserem Glück leisten zu können. Zumindest entwickelt sich ein Verlangen, unabhängig davon, ob die Erfüllung dieses Verlangens nicht nach mehr und immer noch mehr Verlangen verlangt. Der Grund für unser Festhalten am Glück liegt am Nichtglauben an ein glückseliges Leben nach dem Tod und dem daraus resultierenden Zwang, das beste aus unserer Lebenszeit zu machen. Getrieben und beschleunigt streben wir nach Genusssättigung und leiden unter kollektiver Versäumnisangst auch FOMO genannt. Aus unterschiedlichen Gründen täten wir gut daran, uns in Glücksgelassenheit zu üben. Ausgehend von der wesentlich realistischen Vorstellung, dass Aspekte wie Gerechtigkeit und Schicksal, Rückstand oder Vorteil gemeinhin von uns nicht gesteuert werden können. 

Ist es nicht genau diese Gelassenheit in Bezug auf die Lebenswirklichkeit, die uns Beuys in seinem Gedicht vermitteln will? Anstatt das Glücksnarrativ ausschließlich an der eigenen hedonistischen Lebensbilanz festzumachen, wäre eine veränderte Haltung zum Glück durchaus lohnenswert. Vom Individuum abgelöst kann eine allgemeine Glücksdefinition mehr Verantwortung für das eigene Denken und Handeln – vor allem in Bezug auf nachfolgende Generationen –  übernehmen. Also ist es doch eine Frage der Einstellung: Verzweifelte sehen mitunter mehr, was glückliche Menschen ignorieren. Jede Scherbe spiegelt das Licht und eine kollektive Glücksbescheidenheit trägt dazu bei, dass das Schicksal nicht immer das letzte Wort hat. Anstelle getriebener Glücksritterschaft steht die Gabe mittels der richtigen Worte danach zu rufen und sein Möglichstes zum Gelingen beizutragen.  Oder um es mit Beuys weisen Worten zu sagen: Sich fallen lassen, kleine Zeichen machen, die „ja“ sagen oder verschiedene Stimmungen zu pflegen erscheint ratsam. Dinge aus Liebe zu tun, Geld weiter zu geben oder mit Kindern zu kichern und Alten zuzuhören hat etwas sinnstiftendes. Offen und frei sein, die Angst fallen zu lassen, um jemand Gefährlichen zum Tee einzuladen hört sich nach einem verheißungsvollen Lebensentwurf an. Und wenn das alles nicht hilft, sollte man einfach mal wieder „Ja, ja, ja, ja jaaaa … und „Nee, nee nee neee…“ proklamieren..   

Quelle: 

Glücksimperativ – ein Fallstrick?

 von Jeam-Pierre Wils (Theologe und Ethiker) 

Aus der Dlf Audiothek | Essay und Diskurs | Moderne Lebensqualität | Der Glücksimperativ – ein Fallstrick? 

https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=731113