Der Sommer ist vorbei und auch wenn die pandemischen Umstände eine unbürokratische, mühelose Urlaubsplanung mithin erschwert hatten, so zähle ich mich zu den Glücklichen, die es außer Landes und ins europäische Ausland geschafft haben.
Zuweilen stößt man auf Unverständnis, sich und andere einem erhöhten Ansteckungsrisiko auszusetzen und muss sich zumindest andeutungsweise einen gelegentlichen Guilttrip gefallen lassen. Vor dem Hintergrund, dass in Fussballstadien offizielle, als Wettkampf getarnte Superspreader-Events stattfinden durften, deren Hygienekonzept niemand so recht versteht, eine Flugreise hingegen den Bestimmungen eines Hochsicherheitslabors in der chemischen Industrie gleichkommt, entbehrt das produzierte Schuldgefühl allerdings jeglicher Logik. Aber das nur am Rande. Guiltttrip kann ich auch, ziehe einfach die Behindertenkarte und ersticke jedweden Zweifel an der Rechtschaffenheit meines Familienbesuchs im Ausland mit der schlagkräftigen Begründung, dass ich meine mir noch verbleibende Zeit des verschwommenen Sehens so gut es eben geht mit Licht ausfüllen muss.
Diese etwas holprige, aber dennoch stimmige Überleitung soll vordergründig betrachtet das Thema Reisen mit Behinderungen streifen, aber darüberhinaus für die Metaebene in der Diskussion um Teilhabe und Behinderung im Alltag sensibilisieren. Was assoziieren wir denn eigentlich mit dem Begriff Behinderung, hinter dem sich eine Vielzahl von graduell extrem unterschiedlichen Krankheitsbildern und Symptomen verbirgt? Aber hierzu kommen wir gleich, konzentrieren wir uns zunächst einmal auf das Reisen und die eingeschränkte Mobilität. Seit einer traumatischen Erfahrung in Spanien, wo ich orientierungslos und ohne nennenswerte Sprachkenntnisse den Weg zum Flughafen fast nicht gefunden hätte, bin ich dazu übergegangen, mir auf Bahn- oder Flugreisen einen kompetenten Assistenzservice hinzu zu buchen. Fast alle bieten diese Zusatzleitung kostenlos an, helfen beim Ein-, Um- und Aussteigen, lesen Fahrpläne sowie Anzeigen und können bei Verspätungen oder Veränderungen helfend zur Seite stehen. Unbestritten ein fabelhafter und höchst sinnvoller Service, ohne den ich heutzutage und vor allem auf mir unbekanntem Terrain im In- und Ausland nicht mehr alleine zurecht käme. Die Betreuung vor Ort wird von unfassbar freundlichen Mitarbeitenden ausgeführt, die geduldig und rücksichtsvoll auf spezielle Bedürfnisse und Belange der Reisenden eingestellt sind. Ähnlich wie beim Taxifahren erfahre ich fast immer etwas über lokale Begebenheiten, aktuelle Gerüchte oder die Familie – man tauscht sich aus, lacht und geht ein Stück des Weges gemeinsam.
Bevor ich fortfahre möchte ich jedoch unbedingt betonen, dass ich für diese Dienstleistung nicht nur äußerst dankbar bin, und auch nicht das geringste daran auszusetzen vermag. Mit einer winzig kleinen Ausnahme, die allerdings nichts mit der Dienstleistung als solches zu tun hat. Vielmehr handelt es sich um den eigentlichen Buchungsvorgang einer Assistenz, insbesondere beim Fliegen, der mitunter einige Fallstricke bereit hält. Unser Flug nach Portugal beispielsweise führte uns von dem mir noch unbekannten, neuen BER-Flughafen in Berlin über München nach Lissabon und auf der Rückreise über Frankfurt wieder zurück nach Berlin. Der Versuch, den Service über das Telefon anzumelden, war eine zeit- und nervenaufreibende Angelegenheit. Nach einer schier endlosen Zeit mit Warteschleifenmusik, die auf Dauer alle Sinne strapaziert, hatte ich endlich eine menschliche Person in der Leitung. Als ich mein Anliegen vortrug, fragte die Dame mich sofort, ob ich denn einen Rollstuhl benötige? Ich verneinte und begründete dies mit meiner Sehbehinderung, die mir ja lediglich Probleme bei der Orientierung und dem Entziffern von Anzeigen oder Schildern bereitete. Da wurde die Dame hellhörig und obwohl ich in den vergangenen Jahren bereits häufig genau diesen Service bei exakt dieser Airline und sogar auf derselben Strecke dankend in Anspruch genommen hatte, ließ sie mich wissen, dass dieser Service nun nicht ohne Rollstuhl buchbar sei. Höflich erläuterte ich ihr, das es sich hier wohl um ein Missverständnis handeln müsse, woraufhin sie mich wieder in die Warteschleife verbannte, um sich nochmals rückversichernd zu erkundigen. Seitdem haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Auch die geduldigste Rekordhalterin in Warteschleifen fliegt irgendwann raus, geht nicht über Los, darf aber gerne noch einmal ganz von vorne anfangen. Nun sind wir es inzwischen gewohnt, dass direkter Kundenkontakt bei den meisten Dienstleistern als ein extrem lästiges Übel angesehen wird. Anders gesagt erhält man den Eindruck, dass alles dafür getan wird, um die benötigte Erreichbarkeit von Servicemitarbeitern oder Kundenberatern zunehmend unmöglich zu machen. Man könnte ja aus Versehen jemandem helfen oder eine einfache Lösung für ein banales Problem liefern. Nein, nein – wo kommen wir denn da hin, wenn es den Kunden und Hilfesuchenden zu einfach gemacht wird. Dass vor allem Menschen mit Behinderungen oder beispielsweise auch gebrechliche Senioren beim Buchen auf komplizierten Internetseiten ohnehin ihre ganz individuellen Probleme haben, bleibt dabei unberücksichtigt.
Egal, ich habe die Botschaft vom Kranich verstanden, die Situation schien alternativlos und ich würde es wohl irgendwie alleine schaffen müssen. Dann aber ließ sich nach intensiver und zeitaufwendiger Recherche wirklich eine Außendienststelle ausfindig ausmachen, die für mein Problem zuständig war.
Einziger Nachteil, ich musste den Service für jeden Flug einzeln anmelden, ein Durchchecken, so wie man das vom Gepäck gewohnt ist, gab es hier nun leider nicht mehr. Artig kreuzte ich die vorausgewählten Felder für meine speziellen Bedürfnisse an und fühlte mich bestätigt, dass hier scheinbar sehr wohl zwischen Rollstuhlfahrer*innen und Sehbehinderten oder blinden Personen unterschieden wurde. Wesentlich mehr Unterscheidungskriterien fanden sich aber auch hier nicht, was die nun folgenden Ereignisse umso mysteriöser erscheinen lässt. Wie gesagt flogen wir diese Strecke nicht zum ersten Mal und hatten alle unsererseits möglichen Vorkehrungen getroffen, um dann aber auf äußerst unterschiedliche Umstände zu treffen, sobald wir von den hilfsbereiten Mitarbeitenden des Serviceteams in Empfang genommen wurden. So ging man während eines Fluges beispielsweise davon aus, dass ich wohl einen Blindenhund bei mir führen würde, was mir erfreulicherweise eine komplett eigene Sitzreihe bescherte, aber auf Unverständnis des Bordpersonals stieß. Auf einem weiteren Flug wurde mir neben der Sehbehinderung auch eine stark beeinträchtigende Gehbehinderung attestiert, die laut Computersystem in meiner Buchung hinterlegt worden war. Wer oder was diese Zusatzinformationen hier gespeichert haben will, ist mir nicht erklärlich. Auf dem Rückflug von Lissabon nach Frankfurt wiederum ging man bei der Ankunft davon aus, dass mein Sohn zusätzlich auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Anfangs war mein erster Impuls natürlich, dass dies ein klassischer Benutzerfehler sei, also meine Inkompetenz hierfür verantwortlich zu machen wäre. Indes ließen diese völlig konfusen und dementsprechend auf jeden Fall zufällig auftretenden Umstände ein selbstverschuldetes Muster beim besten Willen nicht erkennen.
Die drängende Frage nach dem Rollstuhl tauchte übrigens standardmäßig und permanent an mehreren Stellen meiner Reise auf: Wie geschildert bereits bei der Buchung, wo ich sie stets verneine. Dann beim Check-In, wo ich sie natürlich abermals verneine. Anschließend wird diese Information für alle hörbar vom Bodenpersonal telefonisch an die Assistenz weitergegeben. Sich braucht keinen Rollstuhl. Und während der Abholung durch die eigentliche Reiseassistenz, die natürlich einen Rollstuhl dabei hat, werde ich ein weiteres Mal eindringlich danach gefragt. Aber klar, lieber dabei haben und nicht brauchen, als umgekehrt. Aber auch während des Fluges, wenn die Flugbegleiter*innen die Übergabe an den Begleitservice mit mir besprechen, wird die Frage nach dem Rollstuhl standardmäßig abgeklopft. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, so wie man im Supermarkt an den Kassen ja auch immer wieder nach irgendwelchen Bonus Punktesystemen gefragt wird. Ungewiss hingegen bleibt die Frage aus welchen geheimnisvollen Quellen alle anderen Hintergrundinformationen ihren Weg in mein assistenzbedürftiges Profil fanden. Nur gut, dass hier noch niemand auf die Idee gekommen ist, nach Datenschutz zu fragen. Die Vermutung liegt nahe, dass der hier verwendete KI-Algorithmus einem humorvollen Sinn für das Sinnlose hat. Oder habe ich der Dame in der Telefonhotline Unrecht getan, weil sie eigentlich ganz richtig feststellte, daß eine Fluggast-Assistenz ohne Rollstuhl vom System nicht vorgesehen ist und somit nur Unsinn produziert? Immerhin hatte ich in der Warteschleife viel Zeit, darüber nachzudenken, warum diese Frage überhaupt gestellt wird, wenn sie doch von vornherein ein Ausschlusskriterium ist. Aber wäre dann nicht eine direkte Ansage vorab sinnvoller?
Warum setzt sie sich nicht einfach in den verdammten Rollstuhl und hält die Klappe?!, will man schreien, um dieser lächerlichen Situation ein jähes Ende zu bereiten? Tatsächlich ist mir der Gedanke schon mehrmals gekommen, allerdings hatte ich bislang meine Gründe, es nicht zu tun. Erstens habe auch ich meinen Stolz und eine Behinderung reicht doch wohl erstmal, oder?
Zweitens werde ich von meinem Sohn begleitet, mit dem ich dann während des Fluges ausgiebig diskutieren darf, in welchen Situation es geboten ist, die Wahrheit etwas zu beugen oder knallhart zu lügen.
Und drittens ist es wahrscheinlich das Experiment wert, sich beim nächsten Mal dem Rollstuhl zu ergeben, nur um dann festzustellen, dass alles reibungslos läuft.
Aber mal im Ernst, wenn wir diese persönliche Erfahrung einmal abseits vom Reisen betrachten, so scheint die Frage berechtigt, warum wir mit Behinderung fast immer als erstes Gehbehinderungen und somit auch einen Rollstuhl assoziieren. Unbestritten handelt es sich bei jeder Form von Gehbehinderung oder Erkrankung, die jemanden an den Rollstuhl fesselt um einen das Leben in vielerlei Hinsicht stark einschränkenden Umstand. Dennoch ist in Deutschland die Gesamtanzahl an Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind mit Rund 17 Prozent der als schwerbehindert geltenden Personen vergleichsweise gering. Doch während wir andere Schwerbehinderungen eben mitunter nicht sofort als solche wahrnehmen oder diese sogar äußerlich unsichtbar sind, springt der Rollstuhl als allgemein gültiges Merkmal für Behinderung nunmal schnell ins Auge. Zudem steht er auch ikonographisch als das internationale Symbol und somit als universales Kennzeichen für Behinderung. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass die verbleibenden 87 Prozent an Schwerbehinderten, und seien diese durch einen Blindenstock oder ein Tourette-Syndrom durchaus ebenso schnell auszumachen, nicht in derselben Weise mitbedacht werden. Eine unbewusst ablaufende Reflexion, die infolgedessen über die Maßen unbeabsichtigte Haltungen oder Reaktionen mit sich bringt. Nichts liegt mir ferner, als hier falsch platzierte Schuldzuweisungen aufzuspüren. Allerdings erscheint mir die bloße Feststellung als solches bemerkenswert. Hört man sich unter Personen um, die aus beruflichen oder familiären Gründen mit dem Thema Behinderung direkt konfrontiert sind, überrascht diese Beobachtung gleichwohl niemanden. Vor allen in den sozialen Bereichen von Teilhabe und Inklusion wird eine sehr eingleisige Sicht auf das unfassbar breite Spektrum von Beeinträchtigungen immer bemängelt. Und um noch mal auf mein Reisebeispiel zurückzukommen, so wäre die Desorganisation, die vor allem unter dem Flughafenpersonal für Verwirrung gesorgt hat, für mich aber im Grunde konsequenzlos bleib, vermeidbar gewesen. So sollte man zum Beispiel in sensiblen Bereichen wie diesen auf eine persönliche sowie zuverlässige Auskunft und Hilfestellung am Telefon nicht verzichten. An dieser Stelle hebe ich gerne den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn positiv hervor, der 7 Tage die Woche telefonisch erreichbar ist und alle Belange einer Bahnreise von Ticketbuchung bis Begleitung lückenlos und individuell abdeckt. Ohne lange Wartezeiten gelangt man hier schnell an kompetente Mitarbeitende und fühlt sich bereits während der Reiseplanung rundum gut betreut. Diese vorweggenommene, tadellose Fürsorge, die in der Regel nur wenige Minuten in Anspruch nimmt, ist mit Sicherheit effizienter und insofern auch menschenwürdiger als kompliziert programmierte Webseiten, die nur Verwirrung stiften und keinen der Beteiligten wirklich glücklich machen. Mein Appell: Mehr direkter Kundenkontakt am Telefon oder per Chat, welcher als Teilhabe am zwischenmenschlichen Miteinander nicht nur behinderten Menschen zugute kommen würde.
„Brauchen Sie einen Rollstuhl?“ „Nö, Sie?“
Der Sommer ist vorbei und auch wenn die pandemischen Umstände eine unbürokratische, mühelose Urlaubsplanung mithin erschwert hatten, so zähle ich mich zu den Glücklichen, die es außer Landes und ins europäische Ausland geschafft haben.
Zuweilen stößt man auf Unverständnis, sich und andere einem erhöhten Ansteckungsrisiko auszusetzen und muss sich zumindest andeutungsweise einen gelegentlichen Guilttrip gefallen lassen. Vor dem Hintergrund, dass in Fussballstadien offizielle, als Wettkampf getarnte Superspreader-Events stattfinden durften, deren Hygienekonzept niemand so recht versteht, eine Flugreise hingegen den Bestimmungen eines Hochsicherheitslabors in der chemischen Industrie gleichkommt, entbehrt das produzierte Schuldgefühl allerdings jeglicher Logik. Aber das nur am Rande. Guiltttrip kann ich auch, ziehe einfach die Behindertenkarte und ersticke jedweden Zweifel an der Rechtschaffenheit meines Familienbesuchs im Ausland mit der schlagkräftigen Begründung, dass ich meine mir noch verbleibende Zeit des verschwommenen Sehens so gut es eben geht mit Licht ausfüllen muss.
Diese etwas holprige, aber dennoch stimmige Überleitung soll vordergründig betrachtet das Thema Reisen mit Behinderungen streifen, aber darüberhinaus für die Metaebene in der Diskussion um Teilhabe und Behinderung im Alltag sensibilisieren. Was assoziieren wir denn eigentlich mit dem Begriff Behinderung, hinter dem sich eine Vielzahl von graduell extrem unterschiedlichen Krankheitsbildern und Symptomen verbirgt? Aber hierzu kommen wir gleich, konzentrieren wir uns zunächst einmal auf das Reisen und die eingeschränkte Mobilität. Seit einer traumatischen Erfahrung in Spanien, wo ich orientierungslos und ohne nennenswerte Sprachkenntnisse den Weg zum Flughafen fast nicht gefunden hätte, bin ich dazu übergegangen, mir auf Bahn- oder Flugreisen einen kompetenten Assistenzservice hinzu zu buchen. Fast alle bieten diese Zusatzleitung kostenlos an, helfen beim Ein-, Um- und Aussteigen, lesen Fahrpläne sowie Anzeigen und können bei Verspätungen oder Veränderungen helfend zur Seite stehen. Unbestritten ein fabelhafter und höchst sinnvoller Service, ohne den ich heutzutage und vor allem auf mir unbekanntem Terrain im In- und Ausland nicht mehr alleine zurecht käme. Die Betreuung vor Ort wird von unfassbar freundlichen Mitarbeitenden ausgeführt, die geduldig und rücksichtsvoll auf spezielle Bedürfnisse und Belange der Reisenden eingestellt sind. Ähnlich wie beim Taxifahren erfahre ich fast immer etwas über lokale Begebenheiten, aktuelle Gerüchte oder die Familie – man tauscht sich aus, lacht und geht ein Stück des Weges gemeinsam.
Bevor ich fortfahre möchte ich jedoch unbedingt betonen, dass ich für diese Dienstleistung nicht nur äußerst dankbar bin, und auch nicht das geringste daran auszusetzen vermag. Mit einer winzig kleinen Ausnahme, die allerdings nichts mit der Dienstleistung als solches zu tun hat. Vielmehr handelt es sich um den eigentlichen Buchungsvorgang einer Assistenz, insbesondere beim Fliegen, der mitunter einige Fallstricke bereit hält. Unser Flug nach Portugal beispielsweise führte uns von dem mir noch unbekannten, neuen BER-Flughafen in Berlin über München nach Lissabon und auf der Rückreise über Frankfurt wieder zurück nach Berlin. Der Versuch, den Service über das Telefon anzumelden, war eine zeit- und nervenaufreibende Angelegenheit. Nach einer schier endlosen Zeit mit Warteschleifenmusik, die auf Dauer alle Sinne strapaziert, hatte ich endlich eine menschliche Person in der Leitung. Als ich mein Anliegen vortrug, fragte die Dame mich sofort, ob ich denn einen Rollstuhl benötige? Ich verneinte und begründete dies mit meiner Sehbehinderung, die mir ja lediglich Probleme bei der Orientierung und dem Entziffern von Anzeigen oder Schildern bereitete. Da wurde die Dame hellhörig und obwohl ich in den vergangenen Jahren bereits häufig genau diesen Service bei exakt dieser Airline und sogar auf derselben Strecke dankend in Anspruch genommen hatte, ließ sie mich wissen, dass dieser Service nun nicht ohne Rollstuhl buchbar sei. Höflich erläuterte ich ihr, das es sich hier wohl um ein Missverständnis handeln müsse, woraufhin sie mich wieder in die Warteschleife verbannte, um sich nochmals rückversichernd zu erkundigen. Seitdem haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Auch die geduldigste Rekordhalterin in Warteschleifen fliegt irgendwann raus, geht nicht über Los, darf aber gerne noch einmal ganz von vorne anfangen. Nun sind wir es inzwischen gewohnt, dass direkter Kundenkontakt bei den meisten Dienstleistern als ein extrem lästiges Übel angesehen wird. Anders gesagt erhält man den Eindruck, dass alles dafür getan wird, um die benötigte Erreichbarkeit von Servicemitarbeitern oder Kundenberatern zunehmend unmöglich zu machen. Man könnte ja aus Versehen jemandem helfen oder eine einfache Lösung für ein banales Problem liefern. Nein, nein – wo kommen wir denn da hin, wenn es den Kunden und Hilfesuchenden zu einfach gemacht wird. Dass vor allem Menschen mit Behinderungen oder beispielsweise auch gebrechliche Senioren beim Buchen auf komplizierten Internetseiten ohnehin ihre ganz individuellen Probleme haben, bleibt dabei unberücksichtigt.
Egal, ich habe die Botschaft vom Kranich verstanden, die Situation schien alternativlos und ich würde es wohl irgendwie alleine schaffen müssen. Dann aber ließ sich nach intensiver und zeitaufwendiger Recherche wirklich eine Außendienststelle ausfindig ausmachen, die für mein Problem zuständig war.
Einziger Nachteil, ich musste den Service für jeden Flug einzeln anmelden, ein Durchchecken, so wie man das vom Gepäck gewohnt ist, gab es hier nun leider nicht mehr. Artig kreuzte ich die vorausgewählten Felder für meine speziellen Bedürfnisse an und fühlte mich bestätigt, dass hier scheinbar sehr wohl zwischen Rollstuhlfahrer*innen und Sehbehinderten oder blinden Personen unterschieden wurde. Wesentlich mehr Unterscheidungskriterien fanden sich aber auch hier nicht, was die nun folgenden Ereignisse umso mysteriöser erscheinen lässt. Wie gesagt flogen wir diese Strecke nicht zum ersten Mal und hatten alle unsererseits möglichen Vorkehrungen getroffen, um dann aber auf äußerst unterschiedliche Umstände zu treffen, sobald wir von den hilfsbereiten Mitarbeitenden des Serviceteams in Empfang genommen wurden. So ging man während eines Fluges beispielsweise davon aus, dass ich wohl einen Blindenhund bei mir führen würde, was mir erfreulicherweise eine komplett eigene Sitzreihe bescherte, aber auf Unverständnis des Bordpersonals stieß. Auf einem weiteren Flug wurde mir neben der Sehbehinderung auch eine stark beeinträchtigende Gehbehinderung attestiert, die laut Computersystem in meiner Buchung hinterlegt worden war. Wer oder was diese Zusatzinformationen hier gespeichert haben will, ist mir nicht erklärlich. Auf dem Rückflug von Lissabon nach Frankfurt wiederum ging man bei der Ankunft davon aus, dass mein Sohn zusätzlich auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Anfangs war mein erster Impuls natürlich, dass dies ein klassischer Benutzerfehler sei, also meine Inkompetenz hierfür verantwortlich zu machen wäre. Indes ließen diese völlig konfusen und dementsprechend auf jeden Fall zufällig auftretenden Umstände ein selbstverschuldetes Muster beim besten Willen nicht erkennen.
Die drängende Frage nach dem Rollstuhl tauchte übrigens standardmäßig und permanent an mehreren Stellen meiner Reise auf: Wie geschildert bereits bei der Buchung, wo ich sie stets verneine. Dann beim Check-In, wo ich sie natürlich abermals verneine. Anschließend wird diese Information für alle hörbar vom Bodenpersonal telefonisch an die Assistenz weitergegeben. Sich braucht keinen Rollstuhl. Und während der Abholung durch die eigentliche Reiseassistenz, die natürlich einen Rollstuhl dabei hat, werde ich ein weiteres Mal eindringlich danach gefragt. Aber klar, lieber dabei haben und nicht brauchen, als umgekehrt. Aber auch während des Fluges, wenn die Flugbegleiter*innen die Übergabe an den Begleitservice mit mir besprechen, wird die Frage nach dem Rollstuhl standardmäßig abgeklopft. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, so wie man im Supermarkt an den Kassen ja auch immer wieder nach irgendwelchen Bonus Punktesystemen gefragt wird. Ungewiss hingegen bleibt die Frage aus welchen geheimnisvollen Quellen alle anderen Hintergrundinformationen ihren Weg in mein assistenzbedürftiges Profil fanden. Nur gut, dass hier noch niemand auf die Idee gekommen ist, nach Datenschutz zu fragen. Die Vermutung liegt nahe, dass der hier verwendete KI-Algorithmus einem humorvollen Sinn für das Sinnlose hat. Oder habe ich der Dame in der Telefonhotline Unrecht getan, weil sie eigentlich ganz richtig feststellte, daß eine Fluggast-Assistenz ohne Rollstuhl vom System nicht vorgesehen ist und somit nur Unsinn produziert? Immerhin hatte ich in der Warteschleife viel Zeit, darüber nachzudenken, warum diese Frage überhaupt gestellt wird, wenn sie doch von vornherein ein Ausschlusskriterium ist. Aber wäre dann nicht eine direkte Ansage vorab sinnvoller?
Warum setzt sie sich nicht einfach in den verdammten Rollstuhl und hält die Klappe?!, will man schreien, um dieser lächerlichen Situation ein jähes Ende zu bereiten? Tatsächlich ist mir der Gedanke schon mehrmals gekommen, allerdings hatte ich bislang meine Gründe, es nicht zu tun. Erstens habe auch ich meinen Stolz und eine Behinderung reicht doch wohl erstmal, oder?
Zweitens werde ich von meinem Sohn begleitet, mit dem ich dann während des Fluges ausgiebig diskutieren darf, in welchen Situation es geboten ist, die Wahrheit etwas zu beugen oder knallhart zu lügen.
Und drittens ist es wahrscheinlich das Experiment wert, sich beim nächsten Mal dem Rollstuhl zu ergeben, nur um dann festzustellen, dass alles reibungslos läuft.
Aber mal im Ernst, wenn wir diese persönliche Erfahrung einmal abseits vom Reisen betrachten, so scheint die Frage berechtigt, warum wir mit Behinderung fast immer als erstes Gehbehinderungen und somit auch einen Rollstuhl assoziieren. Unbestritten handelt es sich bei jeder Form von Gehbehinderung oder Erkrankung, die jemanden an den Rollstuhl fesselt um einen das Leben in vielerlei Hinsicht stark einschränkenden Umstand. Dennoch ist in Deutschland die Gesamtanzahl an Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind mit Rund 17 Prozent der als schwerbehindert geltenden Personen vergleichsweise gering. Doch während wir andere Schwerbehinderungen eben mitunter nicht sofort als solche wahrnehmen oder diese sogar äußerlich unsichtbar sind, springt der Rollstuhl als allgemein gültiges Merkmal für Behinderung nunmal schnell ins Auge. Zudem steht er auch ikonographisch als das internationale Symbol und somit als universales Kennzeichen für Behinderung. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass die verbleibenden 87 Prozent an Schwerbehinderten, und seien diese durch einen Blindenstock oder ein Tourette-Syndrom durchaus ebenso schnell auszumachen, nicht in derselben Weise mitbedacht werden. Eine unbewusst ablaufende Reflexion, die infolgedessen über die Maßen unbeabsichtigte Haltungen oder Reaktionen mit sich bringt. Nichts liegt mir ferner, als hier falsch platzierte Schuldzuweisungen aufzuspüren. Allerdings erscheint mir die bloße Feststellung als solches bemerkenswert. Hört man sich unter Personen um, die aus beruflichen oder familiären Gründen mit dem Thema Behinderung direkt konfrontiert sind, überrascht diese Beobachtung gleichwohl niemanden. Vor allen in den sozialen Bereichen von Teilhabe und Inklusion wird eine sehr eingleisige Sicht auf das unfassbar breite Spektrum von Beeinträchtigungen immer bemängelt. Und um noch mal auf mein Reisebeispiel zurückzukommen, so wäre die Desorganisation, die vor allem unter dem Flughafenpersonal für Verwirrung gesorgt hat, für mich aber im Grunde konsequenzlos bleib, vermeidbar gewesen. So sollte man zum Beispiel in sensiblen Bereichen wie diesen auf eine persönliche sowie zuverlässige Auskunft und Hilfestellung am Telefon nicht verzichten. An dieser Stelle hebe ich gerne den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn positiv hervor, der 7 Tage die Woche telefonisch erreichbar ist und alle Belange einer Bahnreise von Ticketbuchung bis Begleitung lückenlos und individuell abdeckt. Ohne lange Wartezeiten gelangt man hier schnell an kompetente Mitarbeitende und fühlt sich bereits während der Reiseplanung rundum gut betreut. Diese vorweggenommene, tadellose Fürsorge, die in der Regel nur wenige Minuten in Anspruch nimmt, ist mit Sicherheit effizienter und insofern auch menschenwürdiger als kompliziert programmierte Webseiten, die nur Verwirrung stiften und keinen der Beteiligten wirklich glücklich machen. Mein Appell: Mehr direkter Kundenkontakt am Telefon oder per Chat, welcher als Teilhabe am zwischenmenschlichen Miteinander nicht nur behinderten Menschen zugute kommen würde.