Bist du zu schwach, um stark zu sein?

26. Jun 2021

Vielleicht ist es meiner persönliche Wahrnehmung geschuldet, da ich mich momentan viel mit dem Thema angemessenes Niederlagemanagement beschäftige. Nichtsdestotrotz werde ich den Eindruck nicht los, es ist gerade en vogue, sich zu seinen Fehlern zu bekennen und aus ihnen Kraft zu schöpfen? Ich meine dabei nicht in erster Linie permanent in der Öffentlichkeit stehenden Prominente oder Politiker*innen, die ja schon rein berufsmäßig für die Richtigkeit ihrer Aussagen gerade stehen müssen. Wie aber verhält es sich mit Personen, die das Bekenntnis zu (vermeintlichen) Schwächen als eine Art Geheimwaffe ihres Erfolges bezeichnen und aus diesem Grund auch entsprechend inszenieren.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier eine Schwäche, ein Makel oder wahres Scheitern mit dem Lernen aus Fehlern verwechselt wird. Unbestritten bleibt, dass wir qua Geburt Herausforderungen brauchen, Scheitern und Frustration zur gesunden Weiterentwicklung hinzu gehören, damit wir in der Lage sind, Probleme zu lösen oder Enttäuschungen auszuhalten. Darüberhinaus gibt es in einem komplexen, soziokulturellen Persönlichkeits-Gefüge zu viele Einflussfaktoren, als das man hier auf eine einfache Faustregel käme. Dennoch erscheint es sinnvoll, dass in jede noch so simple Betrachtungsweise, die jeweilige Fallhöhe miteinzubeziehen ist. Um eine differenzierte Einordnung von wahrer Schwäche vorzunehmen, ist es ratsam sich von einer zu plakativen Sichtweise zu verabschieden.

Gibt es überhaupt stimmige Anhaltspunkte für wahrhaft tückische Fallstricke, die trostlose Beschaffenheit des Scherbenhaufens oder das metaphorische Schleudertrauma einer gescheiterten Existenz? Ist es überhaupt wichtig, hier zu unterscheiden? Ja, ist es. 

In der Reihe Essay & Diskurs im DLF folgte ich neulich einem hoch interessanten Beitrag, der mit einigen wenigen Sätzen bereits meine komplette Aufmerksamkeit einforderte. Eindeutig ausgelöst von folgenden weisen Worten: „Wer Schwäche sagt, aber Stärke meint, hat nicht verstanden, worum es geht.“ (Jörg Scheller „Wir haben die Macht“, Februar 2021). Augenblicklich fühle ich mich angesprochen und war  diesem, mit bis dato unbekannten Kulturwissenschaftler und Journalisten für seine Klarheit dankbar.  Es sprach aus, was mir schon so lange durch den Kopf schwirrt und ein nicht unwesentlicher Bestandteil meines Manuskriptes ist. Laut Scheller brauchen wir eben genau keine Stärke, um unsere Schwäche einzugestehen, sondern Schwäche, die schwach genug ist, um als solche erkannt zu werden. Gibt es also einen Grenzwert in Sachen Leidensdruck einen Schwäche-Grad, der wahre Schwäche legitimiert? Nein, es handelt sich eher um eine Dissonanz zwischen denjenigen, die simulieren und solchen, die es nicht tun, weil ihnen diese Entscheidung nicht obliegt. Scheller beschreibt die Modeerscheinung als eine neoliberale List, die Schwäche immer dann willkommen heißt, wenn sie öffentlichkeitswirksam präsentiert werden kann.

Der Schwäche wird demnach ein Wert zugeschrieben, von dem man sich einen Vorteil erhofft und diesen auch hemmungslos ausspielt. Damit wird deutlich, dass die gestärkten „Schwächlinge“ sich natürlich von „echter“ Schwäche abgrenzen und distanzieren wollen. Im vorauseilenden Erfolgsgehorsam durchleben sie die Niederlage mit dem unumstößlichen Wissen, dass sie es schaffen werden und fiebern bereits dem Moment entgegen, wenn sie sich dafür gegenseitig auf die Schulter klopfen dürfen. Ungeduldig gilt es hier keine Zeit zu vergeuden und sich nicht mit tatsächlich grundlegendem Erkenntnisgewinn aufzuhalten. Es heraus zu schaffen aus dem kathartischen Moment des Scheiterns muss vielmehr mit dem Erfolgsversprechen verknüpft sein, dass daraus mindestens neue Kraft, wenn nicht gar bewusstseinserweiternde Erleuchtung geschöpft werden kann.

Grundsätzlich ist diesem Wunsch auch nichts entgegen zu halten, allerdings wissen die Vertreter*innen wahrerer Schwäche nur allzu gut, dass der Weg das Ziel ist, es hier keine Abkürzungen  oder Fast-Tracks gibt und man mit kleinen Schritten und schmalen Horizonten bereits die Erwartungshaltung anpassen kann. Ein beschleunigtes Verfahren zum Erkenne dich Selbst wird zwar allerorts und inflationär in Intensiv-Wochenendseminaren, Meditation-To-Go oder anhand von lösungsorientierter Ratgeberliteratur angeboten. Ferner finden inzwischen in über 30 Städten weltweit die sogenannten FuckUp Nights statt, wo Teilnehmende ihr professionelles Scheitern teilen und somit Teil einer globalen Bewegung werden. Abgesehen davon, dass auch hier der Fokus klar auf dem schlussendlich erlangten Erfolg zu liegen scheint, stoße ich mich bereits an dem Begriff professionelles Scheitern. Zwar liegt der Vorteil für Unternehmer oder Selbstständige klar auf der Hand, wenn sie aus den negativen Erfahrungen anderer lernen und Schambarrieren beseitigen, dennoch findet auch hier eine eindeutige Abgrenzung zu allen anderen Formen von Niederlagen statt.

Hinzu kommt der Aspekt mit der ungeklärten Schuldfrage, die suggeriert, dass jeder sein Schicksal beschwören und an und für sich auch besiegeln kann. Unserem humanistischen Selbstverständnis folgend, ist Schwäche eben nicht selbstverschuldet, dementsprechend sollte man auch nicht alleine verantwortlich sein. Scheller trifft hier eine interessante Unterscheidung, indem er auf Menschen hinweist, die beispielsweise nicht laufen können und dann wiederum andere motivieren, Anatomie besser verstehen und bestenfalls heilen zu wollen. Jeder, der mal einen Anatomie-Atlas in den Händen gehalten hat, weiß, dass es eines intensiven Studiums und langer Praxis bedarf, um sich den heutigen Kenntnisstand der Medizin anzueignen. Wissenschaft und Forschung wiederum sind geduldige und mithin widersprüchliche Disziplinen, für die Rückschläge oder Scheitern völlig normal sind. Infolgedessen sollten wir laut Scheller unsere Aufmerksamkeit eher Personen zuwenden, deren Eigenschaften sich als introvertiert, schüchtern oder unentschlossen beschreiben lassen. Ein hadernder, bedachter oder zurückhaltender Blick auf die Gesellschaft eröffne wesentlich nachhaltigere Erkenntnisse. Viel von dem, was wir mit heißer Nadel entwickeln, tauge zwar wunderbar als Brechstange für Veränderungen, reduziere aber das zu Verändernde dafür auf ein unterkomplexes Abziehbild der Welt  so der Kulturwissenschaftler.

 

Man erwirkt auf diese Weise Veränderungen am Symptom, nicht aber an der Welt. Eine mitunter aufwendige und differenziertere Sichtweise ist aufgrund ihrer Komplexität nicht unbedingt erwünscht. TL-DR (to long – didn’t read) als wichtigste Parole des digitalen Zeitalters, die von effizienzgetriebener Eloquenz und dem  Elevator Pitch dominiert wird. Demnach erscheinen diese gegensätzlichen Positionen mit stark abweichenden Zielen wenig kompatibel. Gelten in den Augen der Mehrheitsgesellschaft die Zweifler, Introvertierten oder Zurückhaltenden nicht schon per se als zu schwach, um sich pauschal behaupten zu können? Während Hiob noch mit seiner Daseinsberechtigung hadert, zelebriert ein wieder erstarkter Phoenix bereits ein perfekt inszeniertes Medienspektakel und demonstriert somit die Unvereinbarkeit beider Lager. Wer hätte gedacht, dass es so schwer sein könnte wahre Schwäche als Gegenentwurf zur Macht anzusehen. Nach Schellers Dafürhalten ist es höchste Zeit für diesen antagonistischen Ansatz. Anstelle von Ratgeber- fordert er vielmehr Ratlosigkeits-Literatur, die sich nicht scheut vor der Herausforderung erst einmal zu kapitulieren. Denn selbst in besseren Ratgebern wird man darauf hingewiesen, dass Ratlosigkeit und Abhängigkeit elementare Voraussetzungen für inspirierende oder innovative Einsichten sind. In diesem Erkenntnisprozess ist es von großer Bedeutung nicht gleich zu wissen, was man sucht, überhaupt erst einmal zu verstehen, welche Fragen relevant sind. Abweichende Antworten sind dabei ebenso willkommen, wie gar keine oder sich widersprechende Antworten. Auch die Ungeduldigsten unter uns, sollten es als absoluten Luxus ansehen, der Suche nach richtungsweisenden Fragestellungen ausreichend Zeit einzuräumen. Rastlos unternehmen wir den  aussichtslosen Versuch, uns einem hoch technologischen Diskurs anzupassen und gehen arglos davon aus, dass die Lösung nur wenige Klicks entfernt auf uns wartet. Weit gefehlt! Gleichwohl könnte das von Gianni Vattimo proklamierte Schwache Denken uns dabei helfen, ergebnisoffen an Niederlagen heran zu treten und anstelle von pragmatischen, aber kurzweiligen Strategien lieber nachhaltige, mithin analytische Diskurse anzustreben. Schluss mit dem Optimierungswahn! Lieber einmal mehr Innehalten, tief Durchatmen, Licht ins Dunkel bringen, auch wenn sich unter Asche und Staub keine strahlende Erfolgsstory verbirgt. Auf dem Scherbenhaufen überkommt uns die Einsicht, dass jede der Scherben das Licht widerspiegelt und ein ungewisser Ausgang erstrebenswerter erscheint als unüberwindbare Mauern. Oder wie ein altes japanisches Sprichwort uns lehrt Wenn du in Eile bist, mach einen Umweg, 

 

Quelle: Jörg Scheller: „Wir haben die Macht“ 

https://www.deutschlandfunk.de/wir-haben-die-macht-1-3-warum-wir-eine-kultur-der-schwaeche.1184.de.html?dram:article_id=492520

Bist du zu schwach, um stark zu sein?

Vielleicht ist es meiner persönliche Wahrnehmung geschuldet, da ich mich momentan viel mit dem Thema angemessenes Niederlagemanagement beschäftige. Nichtsdestotrotz werde ich den Eindruck nicht los, es ist gerade en vogue, sich zu seinen Fehlern zu bekennen und aus ihnen Kraft zu schöpfen? Ich meine dabei nicht in erster Linie permanent in der Öffentlichkeit stehenden Prominente oder Politiker*innen, die ja schon rein berufsmäßig für die Richtigkeit ihrer Aussagen gerade stehen müssen. Wie aber verhält es sich mit Personen, die das Bekenntnis zu (vermeintlichen) Schwächen als eine Art Geheimwaffe ihres Erfolges bezeichnen und aus diesem Grund auch entsprechend inszenieren.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier eine Schwäche, ein Makel oder wahres Scheitern mit dem Lernen aus Fehlern verwechselt wird. Unbestritten bleibt, dass wir qua Geburt Herausforderungen brauchen, Scheitern und Frustration zur gesunden Weiterentwicklung hinzu gehören, damit wir in der Lage sind, Probleme zu lösen oder Enttäuschungen auszuhalten. Darüberhinaus gibt es in einem komplexen, soziokulturellen Persönlichkeits-Gefüge zu viele Einflussfaktoren, als das man hier auf eine einfache Faustregel käme. Dennoch erscheint es sinnvoll, dass in jede noch so simple Betrachtungsweise, die jeweilige Fallhöhe miteinzubeziehen ist. Um eine differenzierte Einordnung von wahrer Schwäche vorzunehmen, ist es ratsam sich von einer zu plakativen Sichtweise zu verabschieden.

Gibt es überhaupt stimmige Anhaltspunkte für wahrhaft tückische Fallstricke, die trostlose Beschaffenheit des Scherbenhaufens oder das metaphorische Schleudertrauma einer gescheiterten Existenz? Ist es überhaupt wichtig, hier zu unterscheiden? Ja, ist es. 

In der Reihe Essay & Diskurs im DLF folgte ich neulich einem hoch interessanten Beitrag, der mit einigen wenigen Sätzen bereits meine komplette Aufmerksamkeit einforderte. Eindeutig ausgelöst von folgenden weisen Worten: „Wer Schwäche sagt, aber Stärke meint, hat nicht verstanden, worum es geht.“ (Jörg Scheller „Wir haben die Macht“, Februar 2021). Augenblicklich fühle ich mich angesprochen und war  diesem, mit bis dato unbekannten Kulturwissenschaftler und Journalisten für seine Klarheit dankbar.  Es sprach aus, was mir schon so lange durch den Kopf schwirrt und ein nicht unwesentlicher Bestandteil meines Manuskriptes ist. Laut Scheller brauchen wir eben genau keine Stärke, um unsere Schwäche einzugestehen, sondern Schwäche, die schwach genug ist, um als solche erkannt zu werden. Gibt es also einen Grenzwert in Sachen Leidensdruck einen Schwäche-Grad, der wahre Schwäche legitimiert? Nein, es handelt sich eher um eine Dissonanz zwischen denjenigen, die simulieren und solchen, die es nicht tun, weil ihnen diese Entscheidung nicht obliegt. Scheller beschreibt die Modeerscheinung als eine neoliberale List, die Schwäche immer dann willkommen heißt, wenn sie öffentlichkeitswirksam präsentiert werden kann.

Der Schwäche wird demnach ein Wert zugeschrieben, von dem man sich einen Vorteil erhofft und diesen auch hemmungslos ausspielt. Damit wird deutlich, dass die gestärkten „Schwächlinge“ sich natürlich von „echter“ Schwäche abgrenzen und distanzieren wollen. Im vorauseilenden Erfolgsgehorsam durchleben sie die Niederlage mit dem unumstößlichen Wissen, dass sie es schaffen werden und fiebern bereits dem Moment entgegen, wenn sie sich dafür gegenseitig auf die Schulter klopfen dürfen. Ungeduldig gilt es hier keine Zeit zu vergeuden und sich nicht mit tatsächlich grundlegendem Erkenntnisgewinn aufzuhalten. Es heraus zu schaffen aus dem kathartischen Moment des Scheiterns muss vielmehr mit dem Erfolgsversprechen verknüpft sein, dass daraus mindestens neue Kraft, wenn nicht gar bewusstseinserweiternde Erleuchtung geschöpft werden kann.

Grundsätzlich ist diesem Wunsch auch nichts entgegen zu halten, allerdings wissen die Vertreter*innen wahrerer Schwäche nur allzu gut, dass der Weg das Ziel ist, es hier keine Abkürzungen  oder Fast-Tracks gibt und man mit kleinen Schritten und schmalen Horizonten bereits die Erwartungshaltung anpassen kann. Ein beschleunigtes Verfahren zum Erkenne dich Selbst wird zwar allerorts und inflationär in Intensiv-Wochenendseminaren, Meditation-To-Go oder anhand von lösungsorientierter Ratgeberliteratur angeboten. Ferner finden inzwischen in über 30 Städten weltweit die sogenannten FuckUp Nights statt, wo Teilnehmende ihr professionelles Scheitern teilen und somit Teil einer globalen Bewegung werden. Abgesehen davon, dass auch hier der Fokus klar auf dem schlussendlich erlangten Erfolg zu liegen scheint, stoße ich mich bereits an dem Begriff professionelles Scheitern. Zwar liegt der Vorteil für Unternehmer oder Selbstständige klar auf der Hand, wenn sie aus den negativen Erfahrungen anderer lernen und Schambarrieren beseitigen, dennoch findet auch hier eine eindeutige Abgrenzung zu allen anderen Formen von Niederlagen statt.

Hinzu kommt der Aspekt mit der ungeklärten Schuldfrage, die suggeriert, dass jeder sein Schicksal beschwören und an und für sich auch besiegeln kann. Unserem humanistischen Selbstverständnis folgend, ist Schwäche eben nicht selbstverschuldet, dementsprechend sollte man auch nicht alleine verantwortlich sein. Scheller trifft hier eine interessante Unterscheidung, indem er auf Menschen hinweist, die beispielsweise nicht laufen können und dann wiederum andere motivieren, Anatomie besser verstehen und bestenfalls heilen zu wollen. Jeder, der mal einen Anatomie-Atlas in den Händen gehalten hat, weiß, dass es eines intensiven Studiums und langer Praxis bedarf, um sich den heutigen Kenntnisstand der Medizin anzueignen. Wissenschaft und Forschung wiederum sind geduldige und mithin widersprüchliche Disziplinen, für die Rückschläge oder Scheitern völlig normal sind. Infolgedessen sollten wir laut Scheller unsere Aufmerksamkeit eher Personen zuwenden, deren Eigenschaften sich als introvertiert, schüchtern oder unentschlossen beschreiben lassen. Ein hadernder, bedachter oder zurückhaltender Blick auf die Gesellschaft eröffne wesentlich nachhaltigere Erkenntnisse. Viel von dem, was wir mit heißer Nadel entwickeln, tauge zwar wunderbar als Brechstange für Veränderungen, reduziere aber das zu Verändernde dafür auf ein unterkomplexes Abziehbild der Welt  so der Kulturwissenschaftler.

Man erwirkt auf diese Weise Veränderungen am Symptom, nicht aber an der Welt. Eine mitunter aufwendige und differenziertere Sichtweise ist aufgrund ihrer Komplexität nicht unbedingt erwünscht. TL-DR (to long – didn’t read) als wichtigste Parole des digitalen Zeitalters, die von effizienzgetriebener Eloquenz und dem  Elevator Pitch dominiert wird. Demnach erscheinen diese gegensätzlichen Positionen mit stark abweichenden Zielen wenig kompatibel. Gelten in den Augen der Mehrheitsgesellschaft die Zweifler, Introvertierten oder Zurückhaltenden nicht schon per se als zu schwach, um sich pauschal behaupten zu können? Während Hiob noch mit seiner Daseinsberechtigung hadert, zelebriert ein wieder erstarkter Phoenix bereits ein perfekt inszeniertes Medienspektakel und demonstriert somit die Unvereinbarkeit beider Lager. Wer hätte gedacht, dass es so schwer sein könnte wahre Schwäche als Gegenentwurf zur Macht anzusehen. Nach Schellers Dafürhalten ist es höchste Zeit für diesen antagonistischen Ansatz. Anstelle von Ratgeber- fordert er vielmehr Ratlosigkeits-Literatur, die sich nicht scheut vor der Herausforderung erst einmal zu kapitulieren. Denn selbst in besseren Ratgebern wird man darauf hingewiesen, dass Ratlosigkeit und Abhängigkeit elementare Voraussetzungen für inspirierende oder innovative Einsichten sind. In diesem Erkenntnisprozess ist es von großer Bedeutung nicht gleich zu wissen, was man sucht, überhaupt erst einmal zu verstehen, welche Fragen relevant sind. Abweichende Antworten sind dabei ebenso willkommen, wie gar keine oder sich widersprechende Antworten. Auch die Ungeduldigsten unter uns, sollten es als absoluten Luxus ansehen, der Suche nach richtungsweisenden Fragestellungen ausreichend Zeit einzuräumen. Rastlos unternehmen wir den  aussichtslosen Versuch, uns einem hoch technologischen Diskurs anzupassen und gehen arglos davon aus, dass die Lösung nur wenige Klicks entfernt auf uns wartet. Weit gefehlt! Gleichwohl könnte das von Gianni Vattimo proklamierte Schwache Denken uns dabei helfen, ergebnisoffen an Niederlagen heran zu treten und anstelle von pragmatischen, aber kurzweiligen Strategien lieber nachhaltige, mithin analytische Diskurse anzustreben. Schluss mit dem Optimierungswahn! Lieber einmal mehr Innehalten, tief Durchatmen, Licht ins Dunkel bringen, auch wenn sich unter Asche und Staub keine strahlende Erfolgsstory verbirgt. Auf dem Scherbenhaufen überkommt uns die Einsicht, dass jede der Scherben das Licht widerspiegelt und ein ungewisser Ausgang erstrebenswerter erscheint als unüberwindbare Mauern. Oder wie ein altes japanisches Sprichwort uns lehrt Wenn du in Eile bist, mach einen Umweg, 

Quelle: Jörg Scheller: „Wir haben die Macht“ 

https://www.deutschlandfunk.de/wir-haben-die-macht-1-3-warum-wir-eine-kultur-der-schwaeche.1184.de.html?dram:article_id=492520