Digitale Verzweiflung Episode 2:
Vor kurzem besuchte ich mit einer Freundin Antwerpen. Schon die Ankunft am prachtvollen Bahnhof, Antwerpen-Centraal war überwältigend. Überall in der Stadt begegnete einem ein angenehmer Mix aus Altstadt-Gemütlichkeit und faszinierender, moderner Architektur. Besonders überzeugend erschien mir die stadtplanerische Infrastruktur zu sein, die aus limitiertem Raum sehr viel herausholt. Ein perfektes Beispiel für die gelungene Umsetzung demokratischer Rechte aller Verkehrsteilnehmer*innen in Harmonie mit der Umgebung. Jede Menge verkehrsberuhigte Zonen mit großzügigem Platz für Fuß- und Radwege, Tramschienen, Fahrrad-Highways und umliegende Gastronomie sowie Geschäfte. Alles intuitiv und ausnahmslos barrierefrei versteht sich.
Auf für mich mitunter unüberwindbare Barrieren trafen wir an anderer Stelle. Diese sind nicht typisch für Antwerpen, sondern eher ein Phänomen unserer Zeit, welches insbesondere an
frequentierten Orten mit viel Publikumsverkehr zu beobachten war. Zum Frühstücken in der Sonne nahmen wir Platz in einem kleinen Café am Rande des Vogelmarkts. Eine Kellnerin Ende 40, die mit heißem Kaffeebechern und Gebäck hin und her lief, schenkte uns keine Beachtung. Aber hey, es war Sonntag und der Laden brummte. Verunsichert, ob wir vielleicht drinnen ordern sollten, kam sie dann doch an unseren Tisch, um sich zu erkundigen, ob wir schon bestellt hätten. Da sie sichtlich die einzige Person war, die hier bediente, verneinten wir verwundert, aber erfreut, dass sie uns nun doch entdeckt hatte. Als wir ansetzten, unsere Bestelung aufzugeben, unterbrach sie höflich und deutete auf den am Tisch fest geklebten QR-Code. Wir schüttelten energisch den Kopf, winkten ab und entgegnen ebenso höflich, dass wir ja bereits wüssten, was wir wollten. Das sei ja schön und gut, aber wir müssten doch bitte den QR-Code scannen, um dann von der Webseite aus unsere Bestellung aufzugeben. Sie brächte dann alles an den Tisch. Wenig überzeugt, fragten wir, ob es denn nicht möglich sei, unsere bescheidene Bestellung gleich bei ihr aufzugeben? Ich erklärte, dass die Sache mit dem Scannen doch sehr umständlich sei und ich es nicht könne. Sie blieb unnachgiebig und fragte herausfordernd, ob wir denn kein Smartphone hätten? Mein übergroßes Exemplar baumelte an einem neongelbfarbenen Band unübersehbar um meinen Oberkörper. Also schied die einfache Notlüge Nein! an dieser Stelle aus. Daraufhin erklärte ich ihr, dass ich sehbehindert und somit unfähig sei, meine Bestellung per Smartphone abzugeben. Ob sie sich vorstellen könne, bei 2 Cappuccino und 2 Schokocroissants vielleicht doch einmal eine Ausnahme zu machen? Kurze Pause. Endlich knickte sie ein. Ohne sich ihre Niederlage anmerken zu lassen, wiederholte sie gequält, was wir gefühlt ungefähr 5 Mal aufgesagt hatten und gab sich große Mühe, es so aussehen zu lassen, als hätten wir ein 4-Gänge Menü mit entsprechender Weinbegleitung bestellt. Den ehemals in der Gastronomie üblichen Notizblock hatte sie nicht, warum auch! Immerhin hätte man auf diesem Stück Papier, das nicht selten der Anfang eines großartigen Romans, Gedichts oder einer Skizze gewesen ist, die 10 besten Gründe für eine digitale Bestellung notieren können, die im Vergleich zu 2 Cappuccino und 2 Schokocroissants, bitte natürlich wesentlich überzeugender gewesen wären. Leider hätte ich dann jedoch während der endlosen Erörterung mit der Kellnerin den Zettel verspeisen müssen und die 10 guten Gründe wären für immer verloren.
Wäre uns nicht schon am Abend vorher etwas ähnliches passiert, hätten wir uns vielleicht nicht so vehement geweigert. Vom Tag erschöpft und dem Angebot köstlicher Green Bowls angelockt, begaben wir uns nämlich in ein Restaurant, wo sich uns ein merkwürdiges Bild bot. Kellner*innen, die wie ferngesteuert eben diese Bowls servierten oder in die von Lieferdiensten bereitstehenden Rucksäcke verpackten. Herumlungernde Gäste, die emotionslos in ihre digitalen Endgeräte starrten und dabei mitunter etwas Verzweifeltes ausstrahlten. Bald sollten wir wissen, warum, da wir auch hier dazu angehalten waren, unsere Bestellung über ein Terminal oder die Website abzugeben. Okay, dachte meine Freundin – die äußerst kompetente UI/UX-Konzepterin – wie schwierig kann das sein? Es konnte, und es wurde. Hegte man den außergewöhnlichen Wunsch, eine Zutat wegzulassen, so war man gezwungen den hoch komplizierten Bestellvorgang einzeln abzuarbeiten. Mein Mitgefühl galt meiner Freundin, die an vielen Stellen erstaunt feststellen musste, dass ich schon bei einer simplen Bestellung auf ihre Unterstützung angewiesen war. Unabhängig von älteren oder hilfsbedürftigen, behinderten Personen, fragten wir uns, ob wir einer Minderheit angehörten, für die eine gastronomische Experience auch immer an die Interaktion mit anderen Menschen geknüpft sein sollte? Handelte es sich dabei womöglich bald um ein Privileg, dass ausschließlich einer zahlungskräftigen Konsumentengruppe vorbehalten sein würde, die sich in handverlesenen Lokalitäten natürlich immer noch auf einen erstklassigen, menschlichen Service verlassen können? Oder ist die Faszination für die digitale Revolution bei vielen so weit gediehen, dass sie eben lieber immer alles vermeintlich effizient online erledigen möchten, ohne menschliche Nähe? Noch bevor der eScooter in der dafür vorgesehenen Dropzone geparkt ist, wird bereits während der Fahrt einhändig ein Flat White mit Mandelmilch und ein veganer Chiasamen-Porridge bestellt. Nur doof, wenn dann kein Platz in dem überfüllten Szeneladen zu finden ist.
Für meine Freundin und mich stand fest: Wenn wir nicht mehr mit Menschen sprechen, eine Order unkompliziert ändern, eine Frage zum Menü stellen oder eben einfach einen Cappuccino bestellen können, dann erübrigt sich die Sinnfrage nach dem Warum überhaupt rausgehen bereits. Ich würde so manch arrogante Attitüde, besserwisserische Erklärung, gut gelaunten oder geschwätzigen Kommentar, aufgeschnappte Gesprächsfetzen und unbedeutenden Flirts sehr vermissen und halte es weiterhin mit der Faustregel, dass am Tisch Smartphones streng verboten sind.
“Herr Ober, darf ich IHNEN vielleicht etwas bringen?”
Episode 2:
Vor kurzem besuchte ich mit einer Freundin Antwerpen. Schon die Ankunft am prachtvollen Bahnhof, Antwerpen-Centraal war überwältigend. Überall in der Stadt begegnete einem ein angenehmer Mix aus Altstadt-Gemütlichkeit und faszinierender, moderner Architektur. Besonders überzeugend erschien mir die stadtplanerische Infrastruktur zu sein, die aus limitiertem Raum sehr viel herausholt. Ein perfektes Beispiel für die gelungene Umsetzung demokratischer Rechte aller Verkehrsteilnehmer*innen in Harmonie mit der Umgebung. Jede Menge verkehrsberuhigte Zonen mit großzügigem Platz für Fuß- und Radwege, Tramschienen, Fahrrad-Highways und umliegende Gastronomie sowie Geschäfte. Alles intuitiv und ausnahmslos barrierefrei versteht sich.
Auf für mich mitunter unüberwindbare Barrieren trafen wir an anderer Stelle. Diese sind nicht typisch für Antwerpen, sondern eher ein Phänomen unserer Zeit, welches insbesondere an
frequentierten Orten mit viel Publikumsverkehr zu beobachten war. Zum Frühstücken in der Sonne nahmen wir Platz in einem kleinen Café am Rande des Vogelmarkts. Eine Kellnerin Ende 40, die mit heißem Kaffeebechern und Gebäck hin und her lief, schenkte uns keine Beachtung. Aber hey, es war Sonntag und der Laden brummte. Verunsichert, ob wir vielleicht drinnen ordern sollten, kam sie dann doch an unseren Tisch, um sich zu erkundigen, ob wir schon bestellt hätten. Da sie sichtlich die einzige Person war, die hier bediente, verneinten wir verwundert, aber erfreut, dass sie uns nun doch entdeckt hatte. Als wir ansetzten, unsere Bestelung aufzugeben, unterbrach sie höflich und deutete auf den am Tisch fest geklebten QR-Code. Wir schüttelten energisch den Kopf, winkten ab und entgegnen ebenso höflich, dass wir ja bereits wüssten, was wir wollten. Das sei ja schön und gut, aber wir müssten doch bitte den QR-Code scannen, um dann von der Webseite aus unsere Bestellung aufzugeben. Sie brächte dann alles an den Tisch. Wenig überzeugt, fragten wir, ob es denn nicht möglich sei, unsere bescheidene Bestellung gleich bei ihr aufzugeben? Ich erklärte, dass die Sache mit dem Scannen doch sehr umständlich sei und ich es nicht könne. Sie blieb unnachgiebig und fragte herausfordernd, ob wir denn kein Smartphone hätten? Mein übergroßes Exemplar baumelte an einem neongelbfarbenen Band unübersehbar um meinen Oberkörper. Also schied die einfache Notlüge Nein! an dieser Stelle aus. Daraufhin erklärte ich ihr, dass ich sehbehindert und somit unfähig sei, meine Bestellung per Smartphone abzugeben. Ob sie sich vorstellen könne, bei 2 Cappuccino und 2 Schokocroissants vielleicht doch einmal eine Ausnahme zu machen? Kurze Pause. Endlich knickte sie ein. Ohne sich ihre Niederlage anmerken zu lassen, wiederholte sie gequält, was wir gefühlt ungefähr 5 Mal aufgesagt hatten und gab sich große Mühe, es so aussehen zu lassen, als hätten wir ein 4-Gänge Menü mit entsprechender Weinbegleitung bestellt. Den ehemals in der Gastronomie üblichen Notizblock hatte sie nicht, warum auch! Immerhin hätte man auf diesem Stück Papier, das nicht selten der Anfang eines großartigen Romans, Gedichts oder einer Skizze gewesen ist, die 10 besten Gründe für eine digitale Bestellung notieren können, die im Vergleich zu 2 Cappuccino und 2 Schokocroissants, bitte natürlich wesentlich überzeugender gewesen wären. Leider hätte ich dann jedoch während der endlosen Erörterung mit der Kellnerin den Zettel verspeisen müssen und die 10 guten Gründe wären für immer verloren.
Wäre uns nicht schon am Abend vorher etwas ähnliches passiert, hätten wir uns vielleicht nicht so vehement geweigert. Vom Tag erschöpft und dem Angebot köstlicher Green Bowls angelockt, begaben wir uns nämlich in ein Restaurant, wo sich uns ein merkwürdiges Bild bot. Kellner*innen, die wie ferngesteuert eben diese Bowls servierten oder in die von Lieferdiensten bereitstehenden Rucksäcke verpackten. Herumlungernde Gäste, die emotionslos in ihre digitalen Endgeräte starrten und dabei mitunter etwas Verzweifeltes ausstrahlten. Bald sollten wir wissen, warum, da wir auch hier dazu angehalten waren, unsere Bestellung über ein Terminal oder die Website abzugeben. Okay, dachte meine Freundin – die äußerst kompetente UI/UX-Konzepterin – wie schwierig kann das sein? Es konnte, und es wurde. Hegte man den außergewöhnlichen Wunsch, eine Zutat wegzulassen, so war man gezwungen den hoch komplizierten Bestellvorgang einzeln abzuarbeiten. Mein Mitgefühl galt meiner Freundin, die an vielen Stellen erstaunt feststellen musste, dass ich schon bei einer simplen Bestellung auf ihre Unterstützung angewiesen war. Unabhängig von älteren oder hilfsbedürftigen, behinderten Personen, fragten wir uns, ob wir einer Minderheit angehörten, für die eine gastronomische Experience auch immer an die Interaktion mit anderen Menschen geknüpft sein sollte? Handelte es sich dabei womöglich bald um ein Privileg, dass ausschließlich einer zahlungskräftigen Konsumentengruppe vorbehalten sein würde, die sich in handverlesenen Lokalitäten natürlich immer noch auf einen erstklassigen, menschlichen Service verlassen können? Oder ist die Faszination für die digitale Revolution bei vielen so weit gediehen, dass sie eben lieber immer alles vermeintlich effizient online erledigen möchten, ohne menschliche Nähe? Noch bevor der eScooter in der dafür vorgesehenen Dropzone geparkt ist, wird bereits während der Fahrt einhändig ein Flat White mit Mandelmilch und ein veganer Chiasamen-Porridge bestellt. Nur doof, wenn dann kein Platz in dem überfüllten Szeneladen zu finden ist.
Für meine Freundin und mich stand fest: Wenn wir nicht mehr mit Menschen sprechen, eine Order unkompliziert ändern, eine Frage zum Menü stellen oder eben einfach einen Cappuccino bestellen können, dann erübrigt sich die Sinnfrage nach dem Warum überhaupt rausgehen bereits. Ich würde so manch arrogante Attitüde, besserwisserische Erklärung, gut gelaunten oder geschwätzigen Kommentar, aufgeschnappte Gesprächsfetzen und unbedeutenden Flirts sehr vermissen und halte es weiterhin mit der Faustregel, dass am Tisch Smartphones streng verboten sind.